Teixeira de Pascoaes
Napoleon. Spiegel des Antichrist
Roman
Umschlag: Michael Biberstein
Aus dem Portugiesischen übersetzt und mit einem Text zu Pascoaes von Albert Vigoleis Thelen.
502 Seiten
fadengeheftete Broschur
€ 29
ISBN: 978-3-931135-30-0
Erschienen: 1997
Herausgeber: Michael Thelen
Umschlag: Michael Biberstein
Als Albert Vigoleis Thelen während seiner Zeit auf Mallorca das Werk des portugiesischen Autors Teixeira de Pascoaes kennenlernte, löste es geradezu einen Erkenntnisschock in ihm aus. Hier hatte jemand das Wort ergriffen, der ihm geistig verwandt war: Ein religiöser Atheist, Visionär, Mystiker.
Dieser Schock blieb nicht ohne Folgen. Thelen wurde der Übersetzer von Pascoaes, später sein Freund, in dessen Haus er von 1939 bis 1947 lebte. Während Thelens Übertragungen der Bücher über Paulus und Hieronymus 1938 bzw. 1942 in Zürich erschienen, blieb die Übersetzung des abschließenden Bandes der Trilogie ungedruckt: das große Buch über Napoleon.
Teixeira de Pascoaes (1877-1952), aus ältestem portugiesischem Adel stammend, war Begründer und Wortführer der als »Portugiesische Renaissance« bekannten Literaturbewegung, die eine nationale Erneuerung im Sinne seiner religiösen »saudade« anstrebte. Seine poetisch-mystische innere Schau verstand er als Wahrheit, »denn die Poesie ist das Reich der Wahrheit wie die Wirklichkeit das der Wissenschaft«. So darf man sich von seinem Napoleon kein Geschichtsbuch oder eine herkömmliche Biographie erwarten. Napoleon. Spiegel des Antichrist erzählt dichterisch-bildhaft vom Leben und Sterben Napoleon Bonapartes als Schicksal Europas unter dem Doppelgestirn von Heroismus und Verzweiflung.
Albert Vigoleis Thelen (1903-1989) arbeitete bei seiner Übersetzung, die 1940 fertiggestellt wurde, eng mit Teixeira de Pascoaes zusammen.
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»Meine Innerlichkeit ist die andere Welt, die mit Schatten belebte, die ich verehre: mein Vater, Paulus, Napoleon. Nie können wir die Lebensgeschichte eines Helden oder Heiligen schreiben, ohne daß wir seinen Herzschlag verspüren und uns der Atem seiner Brust erwärmt. Es ist, als schrieben wir die Erinnerungen unseres eigenen Lebens, denn wir versetzen uns ganz in die Ereignisse und Gestalten, die uns bewegen.«
»Das Evangelium von Antichrist ist die Befriedigung des persönlichen Stolzes.«
Teixeira de Pascoaes
»Ferne von mir seien Gedanken an meine Hinterlassenschaft, zudem steht in meinem Testament eine Klausel: Alles ist nach meinem Tode ungelesen zu vernichten (…), ausgenommen des Mystikers Pascoaes Buch über Napoleon, Spiegel des Antichrist, für das kein Verleger auch nur noch einen Strich Senf übrig hat, das Butterbrot des
Übersetzers zu würzen.«
A. V. Thelen, Der schwarze Herr Bahßetup
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Leseprobe
Die Welt ist die Bühne, in der Mitte Paris, die neue Urbs,das Rom des Antichristen. Doch der Hauptdarsteller ist mediterran, griechisch-lateinisch wie irgend eine Sirene,irgend ein Triton: das lockende Lied und der Stoß ins Muschelhorn, der die Stürme entfesselt. In ihm hat sich die Renaissance individualisiert. Er ist ein Standbild aus lebendigem Fleisch, vom Volke geschaffen, das sich, wenn es die Stunde erfordert, in Michelangelo verwandelt. Jedes Volk weiß sich seinen Helden zu modellieren. Und ist nicht der Herr ein Werk der Sklaven?
»Ich habe Fehler begangen, denn ich war nur ein Mensch«, sagte er auf Sankt Helena, ein wenig erstaunt, nicht mehr zu sein als nur ein Mensch. Wer sich gewundert hat, war schon nicht mehr er selbst, vielmehr jener Gott, der er vor undenklichen Zeiten einmal gewesen und der ihm zu bestimmten Stunden einmal erschien in der Beklemmung des Exils, im schwarzen Gewölk seiner Seele, woraus sich scharf in einem Glorienschein seine Züge heben. Wer ist, ist schon gewesen. Auf seinem Weg zur Gruft läßt der lebendige Leib eine Spur von Leichen hinter sich zurück. Er stirbt und steht von den Toten auf, in jedem Augenblick, auf eine relative Art, bis das Absolute erreicht ist. Doch das erreicht er erst im Tode und nicht, so er noch unter den Lebenden weilt, entsprechend dem Gesetz vom geringeren Kräfteaufwand. Liegen ist bequemer als Stehen. Daraus ergibt sich die große Tragödie: die Schwäche in der Kraft die Feigheit der Helden die Sinnlichkeit der Mystiker die Dummheit der Klugheit und andere Widersprüche der Natur, die selbst ein unaufhörlicher Widerspruch ist, ein Ja und Nein in brennendem Streit – die weltweite Aktivität.
Das Schicksal – siehe da den Menschen! Schicksal ist Napoleon Bonaparte, der Held, so wie Christus der mütterliche Gott ist, ganz schmerzhafte Jungfrau Maria. Die Unsterblichkeit Napoleons und die Göttlichkeit Christi kommen aus ihrer tiefen Menschlichkeit beide. Christus und der Antichrist – ecce homo!