Hal Marienthal
Schumanns Reise

Roman
Aus dem Amerikanischen von Stefan Weidle
330 Seiten
fadengeheftete Broschur
€ 21
ISBN: 978-3-931135-19-5
Erschienen: 1996
Umschlag: Andrea Belag

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In Romanform beschreibt Schumanns Reise Kindheit und frühe Jugend des Autors bis zu seiner Emigration 1936 im Alter von 12 Jahren. Hal Marienthal wurde 1923 in Frankfurt geboren, die Familie zog jedoch bald nach Dortmund. Als seine Mutter 1929 stirbt, bringt der Vater ihn und seine Schwester in einem jüdischen Waisenhaus in Paderborn unter. Der Junge hält es dort nicht lange aus und läuft weg. Drei Jahre streift er allein durchs Land, schläft im Wald und in Heuschobern, findet gelegentlich Obdach bei fremden Familien. Als seine Situation wegen des wachsenden Antisemitismus immer schwieriger wird, meldet er sich bei einem Onkel im Hunsrück und kehrt schließlich zu seinem Vater nach Dortmund zurück. Nach der Machtergreifung der Nazis wird der Vater als aktives KPD-Mitglied wiederholt verhaftet und gefoltert. Auch für Hal (der damals noch Helmut hieß) wird das Leben gefährlich, denn er verteilt für die KPD Flugblätter und klebt Plakate. 1935 muß er mehrfach untertauchen, er versteckt sich in der Kanalisation, in aufgelassenen Bergwerkschächten. Gleichzeitig läuft sein Visumantrag für die USA, wo Verwandte seines Vaters ihn adoptieren wollen. Um seine Ausreisepapiere zu bekommen, muß er allein nach Stuttgart reisen. Zu dieser Zeit fahndet bereits die Gestapo nach ihm, so daß seine Flucht nur knapp gelingt und nur durch die mutige Hilfe mehrerer Menschen, denen er auf seiner Reise begegnet.

Nur selten gerät ein autobiographischer Text zum atemberaubenden Thriller.
Der Standard, Wien
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Leseprobe

»Wieviel hast du, Oskar? Dein Sohn braucht eine Reisekasse.«
»Ich habe zwanzig Mark.«
»Ich auch. Zwei echte Krösusse.«
Sie gaben Horst die Scheine und durchsuchten ihre Taschen nach Münzen.
»Das ist alles, Horst. Du hast uns völlig ausgeraubt.«
»Wie soll er reisen?« fragte Oskar. »Was geht am schnellsten?«
»Schwierige Frage. Als der Brief kam, dachte ich: Was solls, wir setzen Horst einfach in einen Zug, dann ist er in einem Tag dort. Kein Problem. Aber das geht nicht. Wir vergessen dabei, wer wir sind, schlimmer noch: wo wir sind. Wir vergessen, was da draußen vor sich geht. Das ist nur menschlich, nehme ich an. Zwei Tage vergehen, ohne daß jemand umgebracht wird, und wir denken schon, wir sind im Paradies.«
Eine Zeitlang saßen sie schweigend da. Sie fürchteten sich vor dem unausweichlichen nächsten Schritt, dem endgültigen Abschied. Lifschitz brach die Stille und stand auf. Er holte ein paar Fäustlinge von David und eine Wollmütze.
»Es ist kalt draußen, Junge. Die wirst du brauchen können. Dein Vater kümmert sich viel zuwenig um dich. Also los. Es ist höchste Zeit.«
»Papa?«
»Ja, Horst?«
»Wo ist Stuttgart?«
Die Männer sahen sich an und konnten ein Grinsen nicht unterdrücken. »Auf die Idee bin ich nie gekommen. Ich habe immer gedacht, du fährst einfach mit dem Zug oder einem Bus dorthin.«
Dov zog eine alte Landkarte unter einem Stapel Papier heraus und zeigte Horst den Weg nach Stuttgart. »Ist nicht sehr schwierig, Horst. Dein Vater fährt dich bis hinter den Volkspark und setzt dich auf der Straße nach Hagen ab. Von da gehst du nach Köln, dann Koblenz, dann nach Stuttgart. Ganz einfach. Du bist ja schon früher allein unterwegs gewesen. Du schaffst das. Versuche, soweit wie möglich, keine Züge zu benutzen. Und vergiß uns nicht in Amerika. Jetzt aber raus mit dir«!

Hal Marienthal, um 1935

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