René Fülöp-Miller
Katzenmusik
Roman
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Rolf Bulang
Umschlag: Ulrike Schröter
200 Seiten
fadengeheftete Broschur
€ 19
ISBN: 978-3-391135-35-5
Erschienen: 1998
Herausgeber: Rolf Bulang
Allmorgendlich äfft die vierjährige Kiki die Gesangsübungen der alternden, erfolglosen Opernsängerin Marina nach – quer über den Innenhof einer Mietskaserne. Als ein Impresario zu Marina kommt, hört er das Kind und engagiert es statt der verhinderten Operndiva. Allerdings kann Kiki nur imitieren, was Marina ihr vorsingt. Deshalb werden beide gemeinsam engagiert: Das Publikum ist begeistert, die Angebote häufen sich – doch Kiki muß bei Laune gehalten werden. So terrorisiert das Kind seine gesamte Umgebung, die Situationen werden immer bizarrer, und bald muß die Familie ihre Mahlzeiten unter dem Tisch einnehmen.
Réne Fülöp-Miller (1891-1962) kommt 1908 aus seiner Heimat Rumänien nach Wien, wo ihm Stefan Zweig den Weg in die deutsche Sprache und den Journalismus ebnet. Beide bleiben so ziemlich die einzigen Konstanten eines haarsträubend abenteuerlichen Lebens, bevor Fülöp-Miller als Entdecker und Herausgeber von Dostojewskis Nachlaß, vor allem aber als Autor gut recherchierter und glänzend geschriebener Sachbücher Ende der zwanziger Jahre zum Bestsellerautor wird. Mit seiner jüdischen Lebensgefährtin führt er ein unstetes Wanderleben, 1939 emigrieren sie in die USA, und seit 1950 lehrt er am Dartmouth College in Hannover russische Kultur und Soziologie.
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Leseprobe
Der Impresario erhob sich.
»Danke, verehrtes Fräulein«, sagte er so höflich wie möglich. »Ich glaube, das wird einstweilen genügen!«
Die Sängerin blickte mit gequältem Lächeln forschend zu ihm auf und verstummte. Ihre Arie aber dauerte fort. Sie erscholl jetzt von der Höhe des Hinterhauses durch das offene Hoffenster herüber, womöglich noch schriller und kreischender, jedoch nach Timbre und Vortrag dem Gesang des Fräuleins täuschend ähnlich. Offenbar machte sich dort drüben irgendwer den Spaß, die Sängerin nachzuahmen!
Schon vorhin hatte Glaxman in einer der sekundenlangen Pausen zwischen zwei Stücken diesen höhnenden Widerhall vernommen, und sich im stillen darüber belustigt nun aber konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken, als er erkannte, daß es die Stimme eines Kindes war, die das Singen Marinas so trefflich nachzuäffen verstand. Mit unverhohlenem Interesse lauschte er nach dem Hof hinaus, die Genauigkeit, mit der jene Kinderstimme die früher vernomrnene Arie wiederholte, verblüffte ihn. War dies wirklich bloß das Gekreisch einer unmanierlichen Range? Je länger er hinhorchte, desto deutlicher vernahm er, wie sich aus dem Hinauf- und Hinabgleiten krähender Schreilaute zuweilen ganz reine, volle, leuchtende Gesangstöne lösten, wie sich eine zwar ungeschulte, aber strahlend klare Stimme in freiem, ungebrochenem Melodienbogen spannte, wie sich ein heller, fester Rhythmus abzuzeichnen begann.