Zhai Yongming
Kaffeehauslieder

Gedichte
Aus dem Chinesischen übersetzt und mit einem Nachwort von Wolfgang Kubin.

Wolfgang Kubin erhält den Staatspreis der Volksrepublik China.
114 Seiten
fadengeheftete Broschur
€ 19
ISBN: 978-3-931135-77-5
Erschienen: 2004

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Kaffeehauslieder – der Titel dieses Lyrikbandes öffnet die Tür zum Lebensraum abendländisch-männlichen Geisteslebens – so scheint es. Doch die Gedichte stammen von einer Frau, und diese stammt aus China. Was Zhai Yongming an sich und den anderen beobachtet, dem widmet sie sich ausgiebig – hier ist das Gedicht keine Kurzform, bleibt auch keine vereinzelte Momentaufnahme. Vielmehr sind es Lebensgeschichten, die sich ihrer poetischen Aufmerksamkeit öffnen und zu Zyklen entwickeln. Zhai Yongming fokussiert weiblich, das ist keine Frage, und Sylvia Plath und Frida Kahlo haben sie darin beeinflußt, doch was an so unterschiedlichen Plätzen der Welt wie Chengdu, New York und Berlin in ihren Blick gerät, gibt sich in ihren Versen als existenzielle Grundform zu erkennen.

Zhai Yongming wurde 1955 in Chengdu geboren, der Provinzhauptstadt von Sichuan, und betreibt dort das Künstlercafé »Weiße Nächte«. Ihre Poesie verarbeitet die Schrecken der Kulturrevolution ebenso wie ihre New Yorker Zeit, 1990-1992, oder ihren Berlin-Aufenthalt im Jahr 2000 als Stipendiatin des DAAD.
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Verdienste um die chinesische Literatur
Wolfgang Kubin erhält den Staatspreis der Volksrepublik China.

Die Auszeichnung wird am 29. August in der Großen Halle des Volkes in Peking zum insgesamt erst zweiten Mal verliehen. Mit der Auszeichnung werden Personen geehrt, die sich in besonderer Weise um die chinesische Buchkultur verdient gemacht haben.

Wie die Universität Bonn heute weiter mitteilt, werden bei der Preisverleihung im Rahmen der Pekinger Buchmesse auch der deutsche Kulturstaatsminister Bernd Neumann und der chinesische Minister für Presse und Publikationen Liu Binjie anwesend sein.

Wolfgang Kubin hat seit 30 Jahren zahlreiche bedeutende wissenschaftliche Werke publiziert und dabei auch die kritische Auseinandersetzung nicht gescheut. Zuletzt trat er als Herausgeber und Autor der Bonner Geschichte der chinesischen Literatur in zehn Bänden hervor.

Ebenso hat er sich als Übersetzer chinesischer Literatur einen Namen gemacht. Darunter sind auch Werke chinesischer Dissidenten, die in China der Zensur unterliegen. Zuletzt stieß Wolfgang Kubin im Oktober vergangenen Jahres durch seine kritischen Thesen zum Zustand der chinesischen Gegenwartsliteratur eine landesweite kontroverse Debatte an.

Deutschland ist in diesem Jahr Gastland der Pekinger Buchmesse, die am 30. August offiziell eröffnet wird. Schon im Oktober kann sich Kubin über eine weitere Auszeichnung freuen: Dann erhält er den höchst dotierten Literaturpreis des chinesischen Kulturraumes, den Pamir International Poetry Price.

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Leseprobe

»Als Hälfte der Menschheit ist die Frau von Geburt an mit einer gänzlich unterschiedlichen Welt konfrontiert. Ihr erster flüchtiger Blick darauf ist notwendigerweise von ihrem Empfinden und ihrer Wahrnehmung begleitet, ja sogar von einem heimlichen Widerstand. Gibt sie ganz und gar ihr Leben für die Schaffung einer dunklen Nacht hin? Verformt sie überdies in jeder Gefahr die Welt zu einer großen Seele? Tatsache ist, daß jede Frau ihren eigenen Abgrund zu gewärtigen hat, eine ununterbrochen verschwindende und ununterbrochen billigende egoistische Pein und Erfahrung – bei weitem nicht jede kann dieser ausgewogenen Drangsal bis zum Untergang trotzen. Das ist die erste dunkle Nacht, die uns bei ihrem Erscheinen in eine völlig neue, eigens angelegte und zugeschnittene, nur den Frauen zugehörige Welt trägt. Dies ist kein Prozeß der Rettung, sondern ein Prozeß radikalen Erwachens. Denn die wechselvolle Seele einer Frau vermag in einer sich wandelnden Welt noch leichter alles aufzunehmen und gleichzeitig ihren magisch überreichen, aber schwer verwirklichbaren Geist zu offenbaren. Daher besteht die wirklich weibliche Kraft darin, der Grausamkeit des eigenen Lebens zu widerstehen und sich der Wirklichkeit der inneren Berufung zu überlassen. Zwischen diesen beiden widersprüchlichen Dingen ist das nächtliche Bewußtsein zu begründen.

Der Tag war einmal ein Teil auf meinen Schultern.
Nun ist er fortgenommen.

Kreisläufe
Und es ist nicht nur die Sonne, die kreist, der Abstieg
begann zuvor, als ich zur Welt kam, mit dem Kopf
zuerst, welch schreckliche Plage, so gewann ich Form
behielt den Blick zur Erde als Fakt und wuchs heran.
Als ich kam, war da kein Stern.
Ich stand fest, die Wege kreisten immerfort
von Ost nach West, keine Chance, dem Zirkel Schicksal
zu weichen. Genug!
Später lag mein Kopf auf Gleisen.
Ich sah ihn starr zum Himmel kippen,
angestrengt das eigene Gewicht bewahrend.
Die Erde beschwert meine Füße, ein schwerer Himmel
zerstört mich, es ist das Rad, das kreist.
Geranien sind zu nah meinem Herzen, so zart
so passioniert, doch ich kann nicht innehalten,
daß es nicht mehr kreist.
Zuletzt kommt ein Lächeln wie ein tödlicher Angriff.
Nacht oder Tag? Alles brütet gleicherweise
Kieselsteinaugen aus und Zwitter.
Es heißt, der Kormus ist längst verblüht,
aber am Straßenrand
ist schrankenlos ein schwarzer Wirbel.
Er kreist und kreist wie ein Unstern,
der im Fluge tanzt
und mich umfängt, aber wer ist fern von dir?