D. H. Lawrence
Vögel, Blumen und wilde Tiere
Gedichte
Aus dem Englischen von Wolfgang Schlüter,
Nachwort von Stefan Weidle
176 Seiten
Fadenheftung, Ganzleinen, Goldprägung
€ 19
ISBN: 978-3-931135-46-1
Erschienen: 2000
Umschlag: Pat Steir
D. H. Lawrence (1885-1930) ist im deutschen Sprachraum allein durch seine Prosa bekannt. Darüber hinaus aber hat er zeit seines kurzen Lebens Gedichte geschrieben, deren Gesamtausgabe immerhin 1000 Seiten umfaßt. Fast nichts davon wurde je ins Deutsche übersetzt. Das Original von Vögel, Blumen und wilde Tiere erschien 1923 unter dem Titel Birds, Beasts and Flowers, und Lawrence nannte diesen Band einmal sein »best book of poems«.
Kein anderer Autor hat dieses schlichte Verständnis für die Heiligkeit der Welt der wilden Tiere und Reptilien oder zeigt diese Bereitschaft, sein eigenes wütendes Ego (ein Fluch, den Lawrence sein Leben lang mit sich herumtrug) aufzugeben in einer fast verzweifelten Sehnsucht nach Identifikation mit dem reinen Sein, unverletzt von Gedanken und Gefühlen.
Anthony Burgess über Birds, Beasts and Flowers
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Leseprobe
PURPUR-ANEMONEN
Wer schenkte uns Blumen?
Der Himmel? Der weiße Gott?
Unsinn!
Hervor aus dem Hades,
dem Tartarus!
Höllischer Dis!
Jesus der Gott der Blumen — ?
Nicht er.
Oder der sonnenhelle Apoll, der so musisch ist?
Auch er nicht.
Wer dann?
Sagt, wer.
Sagt es — und es ist Pluto,
Dis,
der Dunkle.
Proserpinas Herr.
Wer widerspricht — ?
Als sie aus der Tiefe hervorbrach,
kamen Blumen, Höllenhunde ihr auf den Fersen.
Dis, der Dunkle, der eifersüchtige Gott, der Gatte,
blumenprachtblütig.
Gehe denn, sprach er.
Und in Sizilien, auf den Wiesen von Enna,
wähnte sie, sie hätte ihn verlassen,
doch um sie her sprangen purpurne Anemonen auf,
Kavernen,
kleine Höllen aus Farbe, Höhlen aus Dunkel,
Hölle: aufgestiegen, sie zu verfolgen königlich üppige
Fallgruben.
Ganz ihr zu Füßen
tut die Hölle sich auf:
vor ihren weißen Knöcheln
hebt die Hölle ihre gattenglänzenden Schlangenhäupter,
höllisch purpurn, um sie zu fassen —
Warum ließ er sie ziehen?
So konnte er sie wieder aufspüren, das weiße Opfer.
O Vortrefflichkeit!
Der Hölle Ehemannsblüten
wieder draußen auf Erden.
Obacht, Persephone!
Ihr, Madame Ceres, paßt auf, der Feind ist Euch
auf den Fersen.
Euch zu Füßen: wildwuchernder Eisenhut,
höllisch-glamourös, und purpurne Ehegattentyrannei
die Eure jüngst für frei erklärten Ebenen bedecken.
Ihr glaubtet, Eure Tochter wär entkommen?
Keine Strümpfe mehr stopfen für die Blumenwurzeln, unten
in der Hölle?
Von wegen, meine Liebe!
Aha, die streifenschnauzichte Hetzbrut, gertenschlanken
Krokusse:
Halali, Jungens, Halali!
Tajo, goldner Wachtelhund, süß wachsame Narzisse,
schnüffelt sie, spürt sie auf!
Diese zwei Frauen mit ihren Freiheitsrechten.
Jetzt kommt wer!
Oho: dort!
Dunkelblaue Anemonen!
Zur Jagd! Zur Hölle!
Hölle auf Erden, und Dis in den Tiefen!
Lauf, Persephone, er ist schon hinter dir her.
Warum ließ er sie ziehen?
Um ihrer Spur zu folgen:
die ganze Kurzweil des Sommers und Frühlings, und Blumen,
die
nach ihren Knöcheln schnappen und sie beim Haar packen!
Arme Persephone, mit ihren Frauenrechten.
Gattenumgarnte Höllenkönigin,
es ist Lenz.
Frühling herrscht
und Pomp der Gattenkriegslist auf Erden.
Küß dein Mädel, Ceres du wähnst, du hättest sie wieder.
Das Stückchen Ehemanns-Ackerbau, das sie ist,
Persephone!
Arme Schwiegermütter!
Sie sind immer verraten, verkauft.
Es ist Frühling.