Wolfgang Kubin
Schattentänzer
Gedichte
150 Seiten
€ 19
ISBN: 978-3-931135-83-6
Erschienen: 2004
Umschlag: Katharina Hinsberg
Als ein Schattentänzer bewegt sich der Dichter durch Landschaften und Städte, ihre unheimlichen Geschichten überwältigen ihn, und die darin begrabene dunkle Geschichte läßt ihm keine Ruhe, »es fehlt die Gabe zur Flucht.«
»Der Fluß habe die Steinkrankheit«, erfährt er, und von den »drei Plagen«: »Blutregen«, »Fallwind« und »Salzblume«. Er findet Francos »Wohnzimmer aus Stein« und überall Friedhöfe, wo »Pioniertote« ihn erwarten »für die Leichentramway oder pneumatische Post.« Darüber schließlich »den beweglichen Himmel von Salamanca, / keine Leiter, kein Weltenbaum, doch Halt genug für eine Tränenschuld.«
Stark, unentrinnbar sind diese Eindrücke, weil von ungeheurer Sinnlichkeit: »In den Katakomben / sind wir Auge und Ohr, nicht Zunge, nicht Neid.«
Dies zu ertragen, zu überleben gelingt ihm gleichwohl, denn »wir sind gedoppelt genug, / des nachts im Gesang, des tags im Fleisch.«:
In seinen Weltwanderungen nämlich bleibt der Dichter ein Troubadour, seine Verse vom Tod, dem er überall begegnet, gelten immer seinem Du, das ihn zu hören erwartet: »Geschichte, sagst du, sind Geschichten, / die wir einander erzählen / stets anders und neu.« Und das ihn zu trösten versteht: »Wir schaudern nicht, / wir sind gelassen wie / Schatten und Spiegel.«
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Wolfgang Kubin, geb. 1945 in Celle, Übersetzer aus dem Chinesischen (u. a. Bei Dao, Yang Lian, Leung Ping-kwan), Essayist und Lyriker, lebt in Bonn und Wien.
Im Weidle Verlag sind bereits zwei Lyrikbände von ihm erschienen:
Das neue Lied von der alten Verzweiflung(2000) und Narrentürme (2002), die 2003 mit dem Literaturpreis der 1787 gegründeten Lesegesellschaft Bonn ausgezeichnet wurden, zudem Anfang 2004 seine Übersetzung der Kaffeehauslieder von Zhai Yongming.
Leseprobe
Heimat und Kunde
I
Weiß ich,
wo ich wohne,
wenn ich wohne?
Ich trete vor's Haus
und in die Wiesen,
nicht in den Streit.
Ich frage,
was ist Mähdesüß,
woher stammt der Ennert?
Kenn' weder Mahd noch Einstreu,
weiß wohl,
auch Pflanzen bedürfen des Lichts.
So wachsen wir des Tags,
zittern des Nachts
und hoffen am Morgen,
auch wir werden, freigelegt,
Seher und Hörer,
lernen neu,
uns zu unterscheiden
wie Herbstzeitlose oder Heilziest,
wie Feucht- oder Glatthaferwiese.
All dies eine Sache
von Freischneider nur oder Sense,
von Mahdgut oder Lichtung.
Wir beginnen zu wittern,
kein Auge zuviel
für den Großen Wiesenkopf,
kein Ohr zu wenig
für Echo und Schall.
Was war, was ist, wird sein
unser Besitz am Ende
neugieriger Wanderschaft.