Wolfgang Kubin
Narrentürme
Gedichte
Mit einem Nachwort von Bei Dao
120 Seiten
Fadenheftung, fester Einband
€ 16
ISBN: 978-3-931135-62-1
Erschienen: 2002
Umschlag: Malte Spohr
Nach dem im Frühjahr 2000 vorgelegten ersten Gedichtband des Sinologen und Übersetzers Wolfgang Kubin, Das neue Lied von der alten Verzweiflung, folgt nun die zweite Sammlung mit nachdenklichen, tastenden Gedichten, die von der Sprache handeln, aus der die Welt besteht – zwischen Bonn und Wien, zwischen Shanghai und Hongkong.
Wolfgang Kubin, geb. 1945 in Celle, Übersetzer aus dem Chinesischen (u. a. Bei Dao, Yang Lian, Leung Ping-kwan), Essayist und Lyriker, lebt nach vielen Jahren in Berlin heute in Bonn und Wien. Veröffentlichungen in »Sprache im Technischen Zeitalter« und »Akzente«.
»Es ist dieser Dreiklang von geschichtlichem Bewußtsein, rationaler Gestaltung und strengem Austausch von Sprache mit der realen Welt, der Kubins Gedichte reich, weil nach allen Seiten für Assoziationen offen macht«.
Joachim Sartorius
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Leseprobe
HOLZLAR
I
Kraniche sind lästig
und auch Orchideen.
Wie erklären wir in den Sümpfen
den buchstäblichen Hain?
Warum also hier der ferne Flug
und unter dem Bruch
der fremde Duft?
Auch der Kiefer fehlte die Nation.
Herrenlos trieb sie
vom Yalu über den Rhein
und schlug sich auf
als Baum und Haus.
Alsbald verstand das Volk
und hieß die Marschen neu.
Korea, das war,
wo Vieh und Mensch versank
in Wasser und Ton.
Wer sind nun wir,
befriedet im Nadelbett,
bei Flügelschlag und Blütenfall?
Ein tönernes Erz, ein Schellengeläut?