Jörg W. Gronius
Stücke 2

mit: Bernd Rauschenbach

Schutzumschlag mit einer Tuschezeichnung von Friedrich Forssman,
Innentypographie unter Verwendung der Weidle-Hausschrift “Italian Old Style”
250 Seiten
fadengeheftete Broschur
€ 19
ISBN: 978-3-931135-29-4
Erschienen: 1997

Stiftung Buchkunst prämiert: »eines der schönsten Bücher«

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Von der Stiftung Buchkunst prämiert: »eines der schönsten Bücher«

Monumentale Minidramen und abendfüllende Alkoholkomödien, Jagdszenen am Abgrund der Albernheit, Kriegslustspiele im Parkett, Brülloperetten, matrosenlose Seestücke, Historienschinkentragödien und bodenlose Frechheiten. Seit 1969 schreiben, lesen, singen und inszenieren Gronius und Rauschenbach ihre gemeinsamen Attacken auf alles, was in 2000 Jahren Dramaturgie-Geschichte Gültigkeit besaß. Dabei sind sie durchaus traditionsbewußt. Ihre für den Raum zwischen Kopf und Bühne geschriebenen Stücke mengen romantische Dramentheorie mit expressionistischem Pathostheater, Operettenseligkeit mit Dadaismus. Was aber auf den ersten Blick wie rauschhafte Groteske anmutet, enthüllt sich dem genaueren Hinsehen als Realität mit einer konkreten Materialbasis, die von den Biographien der Autoren über die Weltliteratur bis zur Weltgeschichte reicht. Wenn es in diesem Jahrhundert noch ein Welttheater gibt, dann in den Texten von Gronius und Rauschenbach.
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Leseprobe

Mit dem Rücken zur Wand
oder
Der reorchestrierte Polsterer-Geselle zwischen den Stühlen
1-3
oder
Mit taktischem Geschick den Stuhlwinkel zersägt!

ein Stuhl für Marion Gülzow in 13 Gängen

Erster Gang

Die Bühne zeigt eine stille Straße im Herzen des alten
Linden. Uber einem Geschäft das Schild Hartmut Stuhlgut Sitzfleischselcher und Schinkenpresser. Das Schaufenster zeigt prachtvolle Auslagen in Gestalt von Stuhlwürze, frisch gesäbelten Setzwürsten und Versatzstücken. Ein schräger Aufkleber verspricht Je verdorbener der Speck desto frischer die Wurst

STUHLGUT preßt sich durch die Ladentür nach draußen:
Meine Gattin unter den Tisch essen: das macht mir keiner nach!

CHOR DER STUHLBUBEN kommt die Straße entlang frisch vom Nachsitzen sie zeigen mit den Fingern auf den Selcher: Sitzenmacher! Sitzenmacher!

STUHLGUT: Kommt nur zu nahe! Euch Nachsitzer nehme ich die Ärsche mit der Tranchiergabel ab, aber einem wie dem anderen, daß es keiner merkt. Soeben habe ich mir meine Gattin unter den Tisch gegessen, aber im Handumdrehn oder so. Einem wie dem andern von euch geht es zu Grundeis im Grunde. Ihr seid freche Löffel, die ich mir ausschlürfe, so nebenbei.

CHOR DER STUHLBUBEN fassen sich bei den Händen wie Zuckerwerk:
Wo kann im alten Linden
in kalten Fensterspinden
das Sitzgewerke sich entfalten?
Bei Hartmut Stuhl, der macht das cool.
Doch seine Frau im Hintergrund
ißt Bullrich Salz, das hält gesund.
Ausgesessen, aufgefressen,
abgegessen, unvergessen:
all night long.