Johannes Muggenthaler
Der Idiotenhügel

Roman
Umschlag: Johannes Muggenthaler
260 Seiten, Photographien
Fadenheftung, fester Einband
€ 21
ISBN: 978-3-931135-82-9
Erschienen: 2004

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Turbulent geht es zu in Johannes Muggenthalers neuem Roman, auch wenn der Held, Simon Wagner, am liebsten Bier trinkend auf dem Idiotenhügel seines Dorfes im Voralpenland sitzt und versonnen ins Weite blickt. Das Schicksal meint es nicht sonderlich gut mit ihm. Durch Intrigen wird ihm der väterliche Hof entrissen, und er muß in die weite Welt ziehen. Dort trifft er auf den abgehalfterten italienischen Schlagerstar Renatone, dessen Leibwächter er wird. Beide begegnen immerhin Apollo persönlich, der Renatones Karriere auf die Sprünge hilft, so sehr, daß ein italienischer Medienmogul mit politischen Ambitionen ihm nach dem Leben trachtet, als er ihm die Freundin ausspannt. Der Leibwächter wider Willen ist nun gefragt und muß beweisen,daß man auch mit einer Schreckschußpistole gegen ein Killerkommando bestehen kann.

In malerisch-zarter Prosa schildert Muggenthaler die Fährnisse seines passiven Helden zwischen provinzieller Enge und dem aufregenden Leben in Italien. Nach dem erfolgreichen Roman Regen und andere Niederschläge oder Die falsche Inderin (2002) ist dies der zweite Geniestreich Muggenthalers im Weidle Verlag, ebenfalls mit Photographien des Autors angereichert.

Johannes Muggenthaler, 1955 geboren, wurde zunächst als Künstler bekannt, Ausstellungen hatte er u. a. im Lenbachhaus, München, und im Museum für moderne Kunst, Wien. Der Idiotenhügel ist sein dritter Roman, daneben schrieb er Erzählungen und Theaterstücke. 1996 erhielt er den Literaturpreis des Schweizer Fernsehens. Johannes Muggenthaler lebt in München.
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Leseprobe

Die Diskothek Apollo war etwas ganz und gar Unwahrscheinliches. Und gleichzeitig ganz Gewöhnliches. Sie lag, sentimental gesprochen, im Herzen der Stadt. In der Nähe des Bahnhofs. Bahnhofsgegenden stehen im Ruf des Unsteten. Ankommende und abreisende Menschen ergeben hier ein dauerhaftes Durcheinander.

Diejenigen, die mit dem Zug ankamen, und diejenigen, die mit dem Zug abfahren wollten, hatten herzlich wenig miteinander zu tun. Gemeinsam war ihnen nur der Ort. Man ging sich aus dem Weg, häufig mit schnellen, akrobatisch erscheinenden Drehungen. Auffällig am Bahnhof war, daß es zwei sehr verschiedene Tempi gab, das Hektische, Betriebsame und das Herumstehende, Wartende, sich unendlich Langweilende.

Überall Fremdes, Fremde. Aber auch das Gegenteil, Intimes und Intime. Nirgendwo sonst in der Stadt sah man so viele Menschen, die sich küßten. Nirgendwo sonst wurde soviel gelacht und geweint. Sowohl die Ankommenden als auch die Abreisenden hatten ihre eigenen Leute am Bahnhof. Verwandte, Bekannte, Freunde. Diese Menschen standen eine Weile untätig herum. Plötzlich aber verwandelten sie sich in Rennende. Sie lachten, oder sie weinten.

Beim Küssen wurde auf strengste Trennung geachtet. Die Leute küßten entweder die Ankommenden oder die Abreisenden. Es gab ein genaues System. Ankommende und abreisende Menschen küßten sich niemals untereinander. Und natürlich war es auch nicht gestattet, daß die Leute der Abreisenden wahllos Ankommende küßten, die gerade aus dem Zug stiegen.

Simon Wagner liebte das Fremde, er gehörte deshalb zu den Menschen, die sich in Bahnhofsgegenden augenblicklich wohl fühlten. Ließ sich der Ortsfremde ein wenig in den umliegenden Straßen treiben, so stand er irgendwann einmal auch vor dem Tanzlokal Apollo. Allerdings, wenn es tagsüber war, vor verschlossenem Eingang. Erst wenn sich der Mond hob, schaukelten über dem Eingang die Lichter, die etwas Falsches, aber auch Anheimelndes hatten. Die von Sehnsucht sprachen, aber auch von Kälte und Bezahlen.