Ana Nobre de Gusmao
Spiegel der Angst

Roman
Umschlag Friedrich Forssman und Nici von Alvensleben (Fotos)
172 Seiten
Fadenheftung, fester Einband
€ 19
ISBN: 978-3-931135-64-5
Erschienen: 2002

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Lissabon Eine Ehefrau und Mutter, zwanghaft ordentlich und manisch ängstlich, wird von ihrem Mann verlassen, für eine Jüngere, eine Künstlerin zudem. Die Betrogene schlägt zurück. Zum Austragungsort ihrer Rache wählt die Panikerin ausgerechnet New York, den Ort, wo Chaos und Gewalt herrschen. Dorthin reist ihr Mann, ein Arzt, zu einem Kongreß – mit der Neuen, und nur dort kann sie versuchen, diese Beziehung zu vernichten. Sie kennt die Ängste, die ihren Mann kaum weniger beherrschen als sie selbst, und legt wie eine Spinne ihr Netz über den Washington Square.

»eine kleine Infamie, ein bißchen Unglück, die hübsche Seifenblase einer Illusion, einer kleinen heilen Welt platzt, kaum ein Geräusch, dann geht alles weiter – der Leser weiß kaum, warum, aber er ist ein bißchen traurig, er weiß auch gar nicht, worüber, aber so ist die Welt wohl, sagt er sich, seine wird auch nicht sehr viel anders sein …

Die Autorin, Jahrgang 52, hat Design und Philosophie studiert – man fragt sich, was man Besseres studieren kann heutzutage für die Trauer des Daseins als Design und Philosophie, bei der Sagan reichte es noch, überall durchgefallen …«
Rolf Vollmann, DIE ZEIT (12. September 2002)
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Leseprobe

Angst erzeugt Angst. Immer will ich alles wissen, sogar die schlimmsten Einzelheiten des scheußlichsten Verbrechens. Doch wenn ich die Bilder der Gewalt eingehend betrachte, so deshalb, weil ich danach die Zeitung auf den Boden schleudern oder den Fernseher ausmachen und mir deprimiert sagen kann, ich hätte lieber überhaupt nichts gewußt und gesehen.

Angst beherrscht einen wichtigen Teil meines Lebens. Das verheimliche ich nicht, wie man eine Schwäche verheimlicht. Ich verheimliche nicht, daß ich mich vor der Nacht fürchte, vor dem Unbekannten, den anderen, vor allem. Doch ich verheimliche, welch starke Anziehungskraft die Angst andererseits auf mich ausübt. Die Angst ist wie der Tod. Unausweichlich.

Die Nacht schärft die Sinne, weil mit ihr die Schatten und die Geräusche kommen, die das Geheimnis vertiefen. Eine Gestalt nahe der Wand. Ein Schrei. Die Augen einer Katze funkeln in der Finsternis. Das Undurchdringliche. Die Stille.

Auf der anderen Straßenseite liegt ein Gebäude, das meinem hier gleicht. Es hat große Fenster, und diejenigen hinter den Balkons, über die man zu den Feuerleitern gelangt, sind mit Eisengittern geschützt. Außer im dritten Stock. Vielleicht erregt das meine Aufmerksamkeit. Die Angst wird vom Argwohn verstärkt. Mut ruft in mir Mißtrauen hervor. Wenn man den Schutz der Gitter verschmäht, muß man mutig sein. Oder auf der anderen Seite stehen, auf der des Bösen.