Albert Vigoleis Thelen
Die Literatur in der Fremde
Literaturkritiken
Herausgegeben, aus dem Niederländischen übersetzt und mit einem Vorwort von Erhard Louven
Umschlag: Thomas Virnich
248 Seiten
fadengeheftete Broschur
€ 19
ISBN: 978-3-931135-21-8
Erschienen: 1996
Herausgeber: Erhard Louven
Während Albert Vigoleis Thelen auf Mallorca all das erlebte, was dann in seiner Insel des zweiten Gesichts literarische Gestalt annahm, fand er sogar noch die Zeit, Literaturkritiken zu schreiben. Sie erschienen unter dem Pseudonym Leopold Fabrizius in der niederländischen Zeitung »Het Vaderland«, übersetzt von dem bedeutenden niederländischen Literaten Menno ter Braak, der sich 1940 beim Einmarsch der Deutschen das Leben nahm.
Thelen besprach ausschließlich Bücher in deutscher Sprache, die nicht innerhalb Deutschlands erschienen, kurz, er war für das zuständig, was man heute Exilliteratur nennt. Die Liste der besprochenen Bücher ist 143 Titel lang, sie reicht von Schalom Asch, Gesang des Tales, bis zu Stefan Zweig, Ungeduld des Herzens. Publiziert wurden die vierzig Artikel zwischen 1934 und 1940, als Thelen bereits in Portugal lebte.
Albert Vigoleis Thelen wurde – ohne seinen Vigoleis – am 28. September 1903 in Süchteln am Niederrhein geboren. 1931 ging er mit seiner späteren Frau Beatrice nach Mallorca, wo er den Vigoleis fand, den er in seiner Insel des zweiten Gesichts unsterblich machte. Wegen des spanischen Bürgerkriegs setzte er sich 1939 nach Portugal ab, dort lebte er bis 1947. Nach Aufenthalten in Holland und der Schweiz kehrte er 1986 an den Niederrhein zurück, wo er am 9. April 1989 in Dülken verstarb.
Der Herausgeber Erhard Louven (geb. 1938), ein weitläufiger Verwandter Thelens, der während dessen letzten Lebensjahren in engem Kontakt zu ihm stand, ist Professor für Modernes China an der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, und lebt in Kempen am Niederrhein.
Ein ganzer Band voller Rezensionen (…) Man befürchtet das Schlimmste und ist doch nach wenigen Seiten gefesselt wie selten, unverhofft eingetaucht in das literarische Leben der Vergangenheit.
F.A.Z.
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Leseprobe
Viel weiter zurück in die Vergangenheit muß man gehen, wenn man Alfred Döblin in seinem Roman Der blaue Tiger (Querido Verlag, Amsterdam) folgen will. Dieses Buch ist die Fortsetzung des hier früher bereits besprochenen Die Fahrt ins Land ohne Tod. Blicken wir zurück auf das Werk des jetzt 60-jährigen Autors, dann finden wir, daß seine historischen Romane eine ununterbrochene Abrechnung mit dem Problem des »Ich über der Natur« beinhalten. Geographisch gesprochen, ging die mythische Fahrt Döblins über China nach Indien, mit dem utopischen Intermezzo Berge, Meere und Giganten, das dem Leser von 1938 übrigens beweist, wieviel an Zukunftsphantasie das Buch bereits eingebüßt hat. Ist das ein Beweis für die prophetischen Qualitäten des Autors oder für die diagnostische Scharfsinnigkeit des Arztes Döblin?
Es ist nicht immer leicht, Döblin auf seiner Fahrt ins Land ohne Tod zu begleiten. Bei diesem Autor wird alles ins Kosmische gezogen die Revue der Gestalten, historischen Namen, einzelnen Fakten (die oft nur zur Peripherie des Ganzen gehören) betäubt den Leser öfter, so daß er fürchtet, selbst in den Strom der Anhänger des Loyola gezogen zu werden, die den Völkern Südamerikas das Evangelium verkündigen. Ich fühle mich nicht kompetent, das historische Fundament des Romans auf seine Echtheit hin zu prüfen. Es scheint mir jedoch auch nicht von großer Wichtigkeit zu sein, ob der Mythos Döblins mit dem übereinstimmt, was in den Archiven als »geschichtswissenschaftliche Wirklichkeit« klassifiziert ist. Und gewiß beruhen die vielen falschen spanischen und portugiesischen Bezeichnungen nicht auf einem »Irrtum« des Autors, sondern allein auf der Tatsache, daß hier etwas »Typisches« angedeutet wird. Der christliche Staat der Jesuiten im Urwald wird infolge von Aufklärung und Handelsgeist vernichtet. Doch auch in dem modernen Urwald der europäischen Städte, in die uns Döblin mit einem kühnen Sprung über drei Jahrhunderte hin versetzt, bricht der blaue Tiger los, den der große Vater auf die Erde niedersendet, als sie schlecht wird. In diesem Ausbruch des neuen Mittelalters erkennen wir Döblins Philosophie des großen Chaos, des extremsten Kollektivismus auf der einen Seite, des extremsten Individualismus auf der anderen. Wi ein fast allen seinen Büchern gibt es auch im Blauen Tiger Seiten einer unnachahmlichen stilistischen Reife (Individualismus) neben ganzen Kapiteln hastig niedergeschriebener Reportagen (Kollektivismus). Es ist Aufgabe des Lesers, sich bis zum Schluß auf Seite 599 einen Weg zwischen diesen beiden Elementen zu bahnen.
(8.1.1939)
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Inhaltverzeichnis
18.2.1934 – Deutsche Literatur in der Fremde.
8.4.1934 – Liepmann, Feuchtwanger, Brod.
3.6.1934 – Zwei Novellensammlungen. Wassermanns letzter Roman.
22.7.1934 – Georg Hermann scheitert. Neue Bücher von Adrienne Thomas und Joseph Roth.
7.10.1934 – Döblin, Kesten, Asch. Der Roman vom »Psalmenjuden«
9.12.1934 – Der Begriff »in der Fremde« wird relativ. Franks Roman über Cervantes.
20.1.1935 – Wird die Emigration eine dauerhafte Erscheinung? Dembitzer, Otto Brod, Alfred Neumann.
14.4.1935 – Ein Bauernroman von Graf. René Schickele über Lawrence.
23.6.1935 – Döblins neuer Roman. Die Geschichte von Maria Baskirtseff.
22.9.1935 – Alfred Polgar und Schalom Asch. Einmal drei.
3.11.1935 – Ein preisgekröntes Buch eines Deutsch schreibenden Tschechen. Wassermanns Erstling.
8.12.1935 – Warum historische Romane?. Napoleon und seine Epoche bei Roth und Speyer.
19.1.1936 – Kann man aus der Geschichte lernen? Zweigs Erziehung vor Verdun
8.3.1936 – Ein Abenteuerroman ohne Kriegsromantik.
Nachgelassene Novellen und Aufsätze von Wassermann.
29.3.1936 – Heinrich Mann, der 65jährige. Sein neuer Roman über Heinrich den Vierten. Klaus Mann und Tschaikowsky.
17.5.1936 – Der lyrische einzelne unter den Prosaisten.
Lebensbeschreibungen von Ignatius von Loyola und Adalbert von Chamisso. Max Brod als Novellist.
21.6.1936 – Romane von Viktoria Wolf und H. E. Jacob.
Der zweite Teil, von Feuchtwangers Josephus-Trilogie.
19.9.1936 – Romane von Georg Hermann und Hermann Kesten.
Ein Buch über Struensee.
18.10.1936 – Der einsame Mann. Plädoyer eines Schweizers für die Gemeinschaft. Die Nachkriegsjugend in Deutschland.
Schalom Asch über die Inflationsperiode.
13.12.1936 – Dramen von Feuchtwanger. Neue Romane von Gustav Regler und Leonhard Frank.
17.1.1937 – Theodor Chindler – Ein wichtiger Roman über das katholische Deutschland. Neue Bücher von Ernst Weiß und Ernst Glaeser.
21.3.1937 – Die Karriere des Komödianten. Höhepunkt und Fall von Napoleon III. Moses Mendelssohn und seine Zeit.
25.4.1937 – Die Übersetzungsleidenschaft der Deutschen.
Schickele als Grenzfigur. Kästners Hausapotheke und noch ein Heilmittel.
30.5.1937 – Joseph Wittlin in Übersetzung. Feuchtwangers historische Parallele. Zaugg. Hoyer, Brod.
18.7.1937 – Die Flaschenpost. Psychologie eines Mörders bei Joseph Roth. Oskar Maria Grafs politischer Roman.
29.8.1937 – Prozeß ohne Richter. Drei Romane über den Diktaturstaat. Brentano, Keun, Frank.
31.10.1937 – Sinn der Emigration. Joseph Roth in der Sackgasse. Döblin im Urwald.
19.12.1937 – Das alte Österreich. Karl Tschuppik, Franz Molnár, Anette Kolb. Ein neuer Roman von Anna Seghers.
6.2.1938 – Historische Darstellungen. Klaus Mann über Ludwig von Bayern. Stefan Zweig über Magellan.
20.3.1938 – Ein Werk Jakob Wassermanns aus dem Nachlaß. Kriegstagebuch eines Kindes.
15.5.1938 – Eine Charakteristik der Tyrannei.
Dokumentarromane über Deutschland. Stefan Zweig und Vicki Baum.
3.7.1938 – Der Kritiker Polgar und seine Aphorismen. Eine jüdische Familie und ihr Schicksal. Ein neuer Roman von Arnold Zweig. Bände von Stefan Zweig und Bruno Frank.
4.9.1938 – Ein Roman über »Du und Ich«. Jüdische Probleme in unserer Welt. Kitsch … und Unterhaltung.
13.11.1938 – Die Zukunft des freien Wortes. Ein amerikanisch-deutscher Roman. Ernst Weiß, ein wichtiger »Psychograph«.
8.1.1939 – Satire von Alfred Neumann. Jugendroman von Arnold Zweig. Döblin auf historischen Pfaden. Zwei junge Talente.
19.3.1939 – Politik und Anti-Politik. Emil Ludwigs »Wahlverwandtschaften«. Ohne Bett und an der Grenze.
6.8.1939 – Zeit und Menschen. Franz Werfel und Carl Zuckmayer über unsere Kultur.
3.9.1939 – Permanente Verbannung. Emigrationsromane von Klaus Mann und Irmgard Keun. Spanien gemäß zweierlei Auffassungen.
14.1.1940 – Wechselnde Aspekte. Paradoxie des Krieges und des Mitleids. Martin Gumpert, Stefan Zweig, Friedrich Walter.
28.4.1940 – Zwei Arten Jugend. Romane von Wilhelm Speyer und Adrienne Thomas. Deutsche Übersetzung von Federico García Lorca.