Miguel de Unamuno
Nebel
Roman
Aus dem Spanischen von Otto Buek, Roberto de Hollanda und Stefan Weidle, Nachwort von Wilhelm Muster
300 Seiten
fadengeheftete Broschur
€ 25
ISBN: 978-3-949441-04-2
Erschienen: August 2022
Endlich die Neuauflage dieses Klassikers der Weltliteratur! Miguel de Unamuno zieht alle Register des Figurenspiels mit seinem unglücklichen Helden Augusto Pérez. Der eines Tages nach alter Gewohnheit auf die Straße tritt und sich sofort und unsterblich verliebt.
Endlich die Neuauflage dieses Klassikers der Weltliteratur! Miguel de Unamuno zieht alle Register des Figurenspiels mit seinem unglücklichen Helden Augusto Pérez. Der eines Tages nach alter Gewohnheit auf die Straße tritt und sich sofort und unsterblich verliebt. In Eugenia, eine Klavierlehrerin wider Willen, die wiederum den nichtsnutzigen Neffen der Portiersfrau ihres Hauses liebt. Augusto macht die Erfahrung, daß man, wenn man liebt, die Liebe überall findet, so auch bei seiner Wäscherin Rosario. In seiner Verwirrung spricht er mit allen und jedem über seine Probleme, und sein Autor leistet ihm tatkräftige Hilfe: Dadurch gelingt es ihm, den vom Balkon gestürzten Vogelkäfig (samt Inhalt) der Tante seiner Angebeteten zu fangen, als er scheinbar zufällig, aber in Wirklichkeit vom Marionettenfaden seines Autors gezogen, an ihrem Haus vorbeikommt. Er verschafft sich damit ein bejubeltes Entrée in die Familie. Nach vielen äußerst komischen Verwicklungen und langen Gesprächen, an deren Ende Augustos Hochzeitspläne krachend gescheitert sind, wendet sich der Verzweifelte an Miguel de Unamuno, seinen Autor. Dieser versucht ihm klarzumachen, daß es mit seiner Selbständigkeit nicht allzuweit her ist, doch will Augusto nichts davon hören. Schließlich bleibt ihm als Gesprächspartner nur noch sein kleiner Hund Orpheus, der zuletzt gar die Grabrede auf ihn halten muß.
Miguel de Unamuno (1864 – 1936) stammt aus Bilbao. Er studierte Philologie in Madrid und erhielt 1891 eine Professur für Altgriechisch in Salamanca. Wegen seiner Angriffe gegen die Diktatur von Primo de Rivera wurde er 1923 auf die Insel Fuerteventura verbannt, von wo er nach Paris floh. Erst 1930 kehrte er nach Salamanca zurück. Niebla entstand 1914, 1935 erschien eine revidierte Fassung mit neuem Vorwort. Das Buch wurde in mehr als 15 Sprachen übersetzt, verfilmt, dramatisiert, als Hörspiel gesendet. 2007 entstand die Musiktheaterproduktion Niebla von Eliza Mendoza und Matthias Rebstock.
Wilhelm Muster (1916 – 1994) war ein Grazer Autor von hinreißenden Romanen und Erzählungen, außerdem ein bedeutender Übersetzer spanischer Literatur (u.a. Quevedo, Pío Baroja, Unamuno, Onetti). 1970 erhielt er den Übersetzerpreis der Unamuno-Gesellschaft. Er muß ganz dringend wiederentdeckt werden.
Leseprobe
Augusto trat aus der Tür seines Hauses, streckte den rechten Arm aus, spreizte die Hand, die Innenfläche nach unten gewandt, und verharrte dann, den Blick zum Himmel gerichtet, einen Augenblick in dieser statuenhaften und vornehmen Haltung. Nicht, als ob er so von der ihn umgebenden Welt Besitz ergreifen wollte: er wollte ganz einfach feststellen, ob es regnete. Er runzelte die Stirn, als er die Kühle des langsam niederrieselnden Sprühregens auf dem Handrücken spürte. Und es war weniger der feine Regen, der ihn störte, als vielmehr der ärgerliche Umstand, daß er seinen Regenschirm öffnen mußte – so schlank, so elegant, so geschickt war dieser in sein Futteral gerollt. Ein geschlossener Regenschirm ist nämlich ebenso elegant, wie ein offener häßlich ist.
“Es ist ein Unglück, sich der Gegenstände bedienen und sie gebrauchen zu müssen”, dachte Augusto. “Der Gebrauch ruiniert sie, ja, er zerstört sogar ihre ganze Schönheit. Die vornehmste Funktion der Gegenstände ist doch, betrachtet zu werden. Wie schön ist eine Orange, bevor man sie ißt. All das wird sich einmal im Himmel ändern, wenn unsere ganze Beschäftigung sich darauf beschränken, oder vielmehr dahin erweitern wird, Gott zu betrachten und alle Dinge in ihm. Hier, in diesem traurigen Leben, besteht unsere Hauptsorge darin, uns Gottes zu bedienen; wir maßen uns an, ihn wie einen Regenschirm zu öffnen, damit er uns gegen alle Übel beschütze.”
Nach diesem Monolog bückte er sich, um seine Hose hochzukrempeln. Endlich öffnete er seinen Regenschirm, blieb einen Moment unentschlossen stehen und überlegte: “Was nun? Wohin soll ich jetzt gehen? Soll ich mich nach rechts oder lieber nach links wenden?” Denn Augusto befand sich nicht auf einer Reise, sondern auf einem Spaziergang durch das Leben. “Ich werde abwarten, bis ein Hund vorbeikommt”, dachte er, “und ich werde die Richtung einschlagen, die er nimmt.”
In diesem Augenblick ging zwar kein Hund, aber eine anmutige Dame über die Straße, und wie magnetisiert und ohne es zu merken, folgte Augusto ihren Blicken.
Er folgte ihr eine Straße entlang …, dann eine zweite, dann abermals eine.
“Sieh mal diesen Gassenjungen da an”, sagte sich Augusto – denn es war mehr ein Selbstgespräch, das er führte, als eine Überlegung, die er anstellte -, “was treibt der hier bäuchlings auf der Erde? Er scheint eine Ameise zu betrachten, sicherlich. Die Ameise! Bah, das ist eines der heuchlerischsten Tiere, die es gibt. Sie tut nichts anderes als spazierenzugehen, und doch will sie uns weismachen, daß sie arbeitet. Genau wie dieser Faulenzer, der mit eiligem Schritt dahinläuft und an alle, denen er begegnet, Ellbogenstöße austeilt; ich bin überzeugt, daß er nichts zu tun hat. Was kann er denn auch zu tun haben, das frage ich mich, was kann er nur zu tun haben? Das ist ein Müßiggänger, ja, ein Müßiggänger, wie … Aber nein! Ich bin kein Müßiggänger.