Aka Morchiladze
Der Filmvorführer
Roman
Aus dem Georgischen von Iunona Guruli
Einband unter Verwendung eines Gemäldes von Karlo Kacharava
Gefördert vom Georgian National Book Center
136 Seiten
fadengeheftete Broschur
€ 19,00
ISBN: 978-3-938803-89-9
Erschienen: Juli 2018
Von einem Tag auf den anderen verschwindet Beso, der junge Chauffeur einer internationalen Organisation, aus Tiflis. Er läßt autobiographische Aufzeichnungen zurück, die vom Aufwachsen in einer kleinen westgeorgischen Stadt ab den 1970er Jahren erzählen. Und von der Freundschaft zum deutlich älteren Islam Sultanow, einem Fürsten, der bereits früh aus seinem Reich vertrieben wurde und nun in Besos Dorf ein isoliertes Dasein als Filmvorführer fristet. Beso ist der einzige, der den Kontakt zu dem Außenseiter sucht, und Islam hält fortan seine schützende Hand über den Jungen.
Als Beso zum Militärdienst eingezogen wird, bewahrheiten sich die schlimmsten Befürchtungen: Er wird nach Afghanistan geschickt, in einen grausamen Krieg. Nur dank eines rätselhaften Zettels, den er von Islam bekommen hat, überlebt Beso.
Zurück in seiner Heimatstadt, nimmt Beso eine bescheidene Anstellung im Heimatmuseum an, das von keinem Bewohner je besucht wird. Aber die Ruhe in Besos Arbeitsalltag trügt, die Umwälzungen im Zuge der Perestroika sind bereits im vollen Gange. Selbst in der Kleinstadt bildet sich eine Widerstandsgruppierung, die Beso um Unterstützung bittet. Ihm wird schnell klar, daß Politik nichts für ihn ist, und er versucht sich aus den Geschehnissen rauszuhalten. Den noch gerät er unfreiwillig zwischen die Fronten – und erregt zugleich die Aufmerksamkeit der jungen Tamriko, in die er sich sofort verliebt. Doch Tamrikos Familie legt ihr Veto ein. Wieder hilft der Filmvorführer …
Eines Tages verschwindet Islam, der letzte Sohn des Khans von Kirbal. Und Beso wird es seinem alten Freund gleichtun … ist er ihm gar gefolgt?
Ein Roman über eine ungleiche Freundschaft in chaotischen Zeiten und über ein Stück archaische Vergangenheit, das sich in dieser Welt behauptet.
Aka Morchiladze (1966 in Tiflis geboren) ist einer der meistgelesenen Autoren Georgiens. Er studierte Georgische Geschichte an der Staatlichen Universität Tiflis; anschließend lehrte er dort als Dozent. Außerdem arbeitete er viele Jahre als Journalist. Insgesamt veröffentlichte er zwanzig Romane und drei Sammlungen mit Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in Georgien zu Bestsellern und teilweise verfilmt. Aka Morchiladze wurde fünfmal mit dem wichtigen georgischen Literaturpreis Saba ausgezeichnet, zuletzt 2012. Der Filmvorführer stammt aus dem Jahr 2009. Im Weidle Verlag ist der Roman Reise nach Karabach erschienen, übersetzt von Iunona Guruli.
Aka Morchiladze kommt zur Frankfurter Buchmesse und wird gemeinsam mit Nino Haratischwili die Eröffnungsrede zum Gastlandauftritt Georgiens halten. Eine kurze Lesereise schließt sich an.
Iunona Guruli wurde 1978 in Tiflis geboren und lebt seit 1999 in Deutschland. Ihr erster Erzählungsband bekam 2016 den Saba-Preis für das beste literarische Debüt und erscheint im August unter dem Titel Wenn es nur Licht gäbe, bevor es dunkel wird.
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Leseprobe
Als Islam Sultanow von meiner Einberufung zur Armee erfuhr, bereitete er mich auf seine Art darauf vor. Er erzählte so viel und so ausgiebig über das Land, in dem ich sicherlich landen würde, daß ich die ganze Nacht kein Auge zutun konnte.
Er erzählte nichts von den Greueln des Gefängnisses und der Lager. Er erklärte mir lediglich, wie ich mich vor dem Schlafen warm einwickeln sollte, wie ich gegen Wanzen kämpfen müßte, die ich bis dahin nicht mal je gesehen hatte, wie ich den Soldaten antworten sollte, die man »Großväter« nennt und die für ihre Schikanen berüchtigt sind. Er beruhigte mich und meinte, falls ich noch einen anderen Georgier in meiner Einheit finden würde, müßten wir immer zusammenhalten.
Drei, vier Tage vor meiner Abreise ging ich in seinen Vorführraum, um einen Film zu sehen. Als der Film lief, drehte sich Islam Sultanow zu mir um und sagte:
»Hör zu, Bruder«, er nannte mich immer so, sprach mich nie mit meinem Namen an, »einige schlimme Dinge sind mir durch den Kopf gegangen. Es sind schwierige Zeiten. Man weiß nie. Wenn du nach Afghanistan geschickt wirst, was dann?«
Ich blieb mit offenem Mund stehen.
Afghanistan bedeutete den Tod. In unsere Stadt wurden in den letzten acht Jahren drei junge Männer tot zurückgebracht. Keiner von ihnen war Soldat, alle arbeiteten als Fahrer. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was Afghanistan war. Ich wußte nur, daß dort Krieg herrschte und daß man unsere Jungs dorthin schickte und die Gefallenen in Zinksärgen zurückbrachte. Dabei verbot man den Angehörigen, die Särge zu öffnen, was als ein zusätzliches Unglück empfunden wurde, denn wenn die Eltern keine Möglichkeit bekamen, ihre Toten zu sehen, fraßen sie der Schmerz und der Zweifel darüber auf,
ob vielleicht gar nicht ihr Sohn zurückgebracht worden war. Aber die Regierung sperrte sich vehement dagegen, die Zinksärge öffnen zu lassen. In der Stadt kursierte das Gerücht, man habe in einem Dorf die den Sarg begleitenden Soldaten und Offiziere zusammengeschlagen, den Sarg gewaltsam geöffnet und lediglich Sägemehl und einige Holzscheite vorgefunden.
Das war alles, was ich über Afghanistan wußte.
»Hör zu«, sagte Islam Sultanow, »ich hab für dich etwas aufgeschrieben.« Er nahm ein gefaltetes Blatt Papier aus der Tasche. »Ich habe es mit georgischen Buchstaben geschrieben. Du mußt es auswendig lernen. Bis du wegfährst, werde ich dich täglich danach fragen. Noch etwas anderes habe ich für dich vorbereitet.« Er nahm ein zweites Blatt heraus. »Das kannst du nicht lesen, aber du mußt es immer bei dir tragen. Sieh zu, daß du es nicht verlierst, unabhängig davon, wo du landest … Wenn etwas Schlimmes passieren und du in die Gefangenschaft geraten solltest, sag erst, was du auswendig lernen mußt, und zeig dann dieses Papier vor.«
Ich war am Boden zerstört. Was für eine Gefangenschaft? Darüber hatte ich kein einziges Mal nachgedacht. Wenn jemand zur Armee ein gezogen wird, versuchen alle ihn aufzuheitern, während Islam Sultanow …
»Komm, lies das jetzt sofort laut vor«, forderte er, und mein Blick entwich in Richtung des anderen Zettels, worauf etwas für mich völlig Unverständliches stand: Ich weiß bis heute nicht, ob es auf arabisch oder persisch geschrieben war, aber es sah allemal wunderschön aus.