Rui Zink
Die Installation der Angst

Novelle
Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler
128 Seiten
fadengeheftete Broschur
€ 18,00
ISBN: 978-3-938803-80-6
Erschienen: Februar 2016
Umschlag: Rui Zink

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»Das einzige, wovor wir Angst haben sollten, ist die Angst selbst.« (Franklin D. Roosevelt)

Zwei Männer klingeln bei einer alleinstehenden Frau. Sie sind gekommen, um in ihrer Wohnung die Angst zu installieren. Wortreich erklären die beiden die Notwendigkeit der Angst, ihre Funktion bei der Kontrolle der Bevölkerung. Die beiden sehr unterschiedlichen Installateure erläutern verschiedene Arten von Angst, etwa die Angst vor Terrorismus, Flüchtlingen, die ins Land strömen, vor Krankheit oder vor sexuellen Übergriffen. Angst, so betonen sie, braucht die Kooperation der Menschen – je besser die Frau sich für die Angst öffne, desto schneller würden sie sie wieder in Ruhe lassen.

Die Novelle zitiert aus unterschiedlichen Zeiten und Zusammenhängen stammende Texte, Sprichwörter, Zeitungsartikel, Klischees und vieles mehr. Sie ist als Kammerspiel gestaltet, als Sprechstück der Gewalt und Bedrohung, und sie zeigt, daß die Angst in den Worten wohnt: Ein Angstszenario, das den Leser mit sich reißt.
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Rui Zink gelang schon mit seinem ersten Roman, Hotel Lusitano (1986), ein Kultbuch. Seine Novelle Die Installation der Angst (A Instalação do Medo) erschien in Portugal 2012.
Zink, 1961 in Lissabon geboren, unterrichtete an der Universität von Michigan/USA und lehrt heute Portugiesische Literatur an der Universidade Nova de Lisboa.
Er schreibt regelmäßig für die großen Lissabonner Tageszeitungen. Er veröffentlichte zahlreiche belletristische Werke, darunter eine Graphic Novel, und im Jahr 2001 den ersten portugiesischen Internetroman Os Surfistas (Afghanistan). Im Jahr 2004 erhielt er den Prémio PEN für seinen Roman Dádiva Divina (»Gottes Gabe«).

Leseprobe

»Seltsam. Die Männer sehen gar nicht bedrohlich aus. Eher im Gegenteil. Der im Anzug wirkt sogar gesprächig, der andere eher derb, kräftig, apathisch.
»Guten Tag«, sagt der im Anzug auf seine gesprächige Art.
»Wir kommen, um die Angst zu installieren.«
»Die Angst …?«
Der Wortgewandte im Anzug zieht ein rhetorisch verblüfftes Gesicht:
»Haben Sie keine Benachrichtigung erhalten?« Und dabei schaut er, als wollte er »Na?« sagen.
Die Frau beißt sich auf die Unterlippe:
»Muß es unbedingt heute sein? Ich wollte eigentlich …«
Der Eloquente im Anzug bleibt freundlich aber bestimmt:
»Meine Dame, der Fortschritt ist unaufhaltsam. Es geht um das Wohl des Landes.«
»Ja, schon. Aber darauf war ich nicht …«
Der Anzugmann erwidert mit betrübtem Gesicht:
»Sagen Sie bloß, Sie sind gegen das Wohl des Landes.«
»Ich …«
»Oder gegen den Fortschritt.«
»…«
»Oder gegen die Angst.«
Die Frau beißt sich heftiger auf die Lippe:
»Nein, natürlich nicht …«
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»Nun ja, gute Frau.«
»Fakten sind Fakten.«
»Die Angst kommt. Ob man will oder nicht.«
»Erst fühlt es sich fremd an, dann gewöhnt man sich daran.«
»Sagen die Leute.«
»Die Angst kommt.«
»Und das ist gut.«
»Schnell.«
»Schmerzlos.«
»Fast jedenfalls.«
»Jemand muß schließlich leiden.«
»Jemand muß leiden, damit die anderen leben können.«
»Alles durch alle zu teilen, das würde bedeuten, daß alle gleich arm sind.«
»Kennen Sie die Geschichte von dem reichen und dem armen Freund?«
»Es war einmal ein Reicher, der hatte einen Freund, der war arm und tadelte ihn den lieben langen Tag lang dafür, daß er reich war.«
»Bis der Reiche es einmal leid war und sagte: Paß auf, wenn wir meinen Reichtum unter der gesamten Bevölkerung des Landes aufteilten, wieviel, glaubst du, bekommt jeder dann ab?«
»Der arme Freund wollte nicht antworten, doch der Reiche bestand darauf. Und schließlich sagte er: Keine Ahnung, so fünf oder zehn Mäuse vielleicht.«
»Gut, also das hier ist dein Anteil. Und jetzt geh mir nicht mehr auf die Nerven.«
»Und jetzt geh mir nicht mehr auf die Nerven. Das ist gut!«
»Fakt ist, daß Opfer gebracht werden müssen.«
»Menschenopfer.«
»Vielleicht noch das einzige, was funktioniert.«
»Lämmer anstelle von Menschen schächten? Man sieht ja, wohin das geführt hat.«
»Die Weltmächte lassen sich nicht gern hinters Licht führen.«
»Selbst angebrannt können sie Fleisch noch am Geruch unterscheiden.«
»Es gibt da ganz feine Nuancen. Empfindliche Nasen nehmen das wahr.«
»Jemand muß schließlich Opfer bringen.«
»Eine Minderheit.«
»Eine Minderheit nach der anderen.«
»Wenn man Glück hat, trifft es einen nicht.«
»Um ehrlich zu sein, ist die Wahrscheinlichkeit, daß es einen trifft, kleiner als die, daß es einen nicht trifft.«
»Die Statistik ist also auf unserer Seite … Warum regt man sich also auf?«
»Wenn man sich aufregt, wird es nur schlimmer.«
»Ein guter Rat unter Freunden.«
»Auch dazu dient die Installation der Angst.«
»Damit die Leute mehr achtgeben.«
»Und keine Dummheiten machen.«
»Dummheiten machen ist dumm, meine Dame.«

by Rui Sousa

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