Wolfgang Kubin
Die Geschichte eines Flachmanns

Schnaps-Essays

172 Seiten
fadengeheftete Broschur
€ 19
ISBN: 978-3-938803-64-6
Erschienen: April 2014

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Alles ist Ankunft, und wir fürchten uns vor dem Abschied. Ankunft meint: Wo ist der Schnaps? Wo ist der Fußballplatz? Abschied meint, den Fußball verstauen, den restlichen Schnaps in einen Flachmann leeren. Nach dem Fußball und nach dem Schnaps ist alles Erinnerung unter den Bergen von Shantou und in den Hügeln des Siebengebirges. Gibt es unfreiwillige Erinnerungen, die einen guten Ball und einen guten Schnaps unvergeßlich machen?

In Wolfgang Kubins neuem Essayband Die Geschichte eines Flachmanns wird der Genuß nicht theoretisch betrachtet, sondern herbeigeschrieben — in Texten über das reinste und stärkste aller Getränke. Diese Essays erzählen vom Schmecken und vom Nachschmecken über alle Jahre, von der Unvergeßlichkeit eines jeden guten Tropfens und der unverwüstlichen Erinnerung an die, die mit uns becherten.
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Nüchtern betrachtet erzählt dieses geistreiche Buch gegen den Trend. In einer Zeit, in der das große “Ohne” gepredigt wird – ein Leben ohne Fett, Fleisch, Zucker, Sinn und Verstand -, geht es Kubin gar nicht ums »Schnapsen«. Es geht um Haltung und Balance, das Bekenntnis zum Genuss, um das Glas in der Hand statt der Flasche im Keller.
Janina Fleischer, LEIPZIGER VOLKSZEITUNG vom 10. Juni 2014

Wenn der Sinologe, Übersetzer, Essayist und Poet Wolfgang Kubin seine schreibenden Kollegen und Freunde trifft zum gemeinsamen Schnapsen, dann reist er immer in Gesellschaft seines Flachmanns, in dem er die Reste eines jeden Festes mit sich führt wie die zugehörigen Vers-Notizen in seinem kleinen Buch. Nichts darf verschwendet sein, nichts darf verlorengehen zwischen Bonn und Peking, Deutschland und China. Es sind wilde Abenteuergeschichten von der Tischkante, faszinierend fremd und von ganz unglaublichem Möglichsein. Ein Band, randvoll mit Genuß-Münchhausiaden, und dabei pure Wahrheit — mindestens 68%.

Wolfgang Kubin, 1945 in Celle geboren, erhielt 2007 den Staatspreis der Volksrepublik China für besondere Verdienste um die chinesische Buchkultur und den höchsten Literaturpreis Chinas, den Pamir International Poetry Prize. Im Weidle Verlag sind neben seiner ersten Sammlung von Essays, Unterm Schnurbaum (2009), drei Lyrikbände von ihm erschienen: Das neue Lied von der alten Verzweiflung (2000), Narrentürme (2002) und Schattentänzer (2004), außerdem seine Übersetzungen der Kaffeehauslieder von Zhai Yongming(2004), der Lyrik-Anthologie Alles versteht sich auf Verrat (2009) und der Essays von Bei Dao,Gottes chinesischer Sohn (2012), 2013 wurde Kubin mit dem Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet.

Leseprobe

In diesen wenigen Tagen hat man mir zuviel Schnaps zugesteckt. Er verlangt flehentlich nach Verzehr, denn er will nicht zurückgelassen sein. Er weiß, er paßt mit seiner Fülle nicht in den Koffer.
Also hat eine Flasche vernichtet zu werden, wie man im Westfälischen zu sagen pflegt. Ich entscheide mich für meinen Lieblingstropfen, für Wuliangye mit 68%, und ziehe zum Alten Bund. Vor der renovierten Kirche dort lassen sich Hochzeitspaare fotografieren. Ich kehre ihnen den Rücken zu, denn ich will mit dem Blick auf den Huangpu den Schnaps in meinen Flachmann und in eine Plastikflasche abfüllen. Aus der bauchigen und schweren Flasche ließe sich nicht gut trinken.
Mein Flachmann ist wohlverstaut. Er denkt weniger an meinen Schnapstopf in Peking, der auf seine zwei und einen halben Liter à 60% stolz ist, er denkt neidvoll an die Reklame der Tageszeitung China Daily, die ich ihm am vorletzten Dienstag im August zumutete. Sie zeigte den größten Schnapsbehälter der Welt, einen Topf, der 353 Liter umfaßt. Mein Flachmann weiß, er ist im Vergleich nur ein Fingerhut. Ich kann seinen Schmerz verstehen. Denn es zieht mich wie Li Bai magisch zu dem Riesen hin. Ob chinesischer Dichter oder deutscher Nacheiferer, wir hätten nur den einen Wunsch, diesen Giganten auf einen einzigen Sitz zu leeren, um so die Trauer von Äonen ein für allemal zu beenden.