Hans Sahl
Die hellen Nächte

Gedichte aus Frankreich
Mit Beiträgen von Burkhard Baltzer, Momme Brodersen, Stéphane Hessel und Ralph Schock.
100 Seiten

€ 16,90
ISBN: 978-3-938803-54-7
Erschienen: Oktober 2012

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Hans Sahl (1902 geboren) mußte als jüdischer Autor 1933 von Berlin aus über Prag und Zürich nach Frankreich flüchten. Er brach dort mit den Stalin-nahen Schriftstellern, war mit etwa 20 Autoren Mitbegründer des »Bundes Freie Presse und Literatur« und organisierte von Marseille aus mit dem Amerikaner Varian Fry die Flucht von 2400 Intellektuellen vor den Nazis, ehe er selbst über Portugal in die USA entkam. Dort arbeitete er als Schriftsteller, Übersetzer und Journalist. Sahl kehrte erst 1989 auf Wunsch seiner Frau Ute nach Deutschland zurück, wo er 1993 in Tübingen starb.

Die hellen Nächte, sein erster Gedichtband, erscheint seit 1942 hiermit erstmals wieder in der von ihm bestimmten Ordnung.

Mit Beiträgen von Burkhard Baltzer, Momme Brodersen, Stéphane Hessel und Ralph Schock.
Die Zeit zerbröckelte. Es war eine Situation entstanden, über die ich einmal ganz subjektiv sprechen möchte. Die Kommunisten, Brecht usw. wurden bei Kriegsende von Moskau zurückgerufen. Es gab eine Kampfgruppe der deutschen Emigration, verstärkt durch die Offıziere der Paulus-Armee, das Nationalkomitee Freies Deutschland. Sie waren bereit und wurden auch trainiert, bei Kriegsende ihre Koffer zu packen, zurückzugehen und wichtige Posten zu besetzen.



Nach dem Krieg zerfıelen die Fronten, und man selber war ja hin- und hergerissen von der Frage: Soll man zurückgehen nach Deutschland oder nicht? Ich selbst hatte keine Partei hinter mir, keine Gruppe, niemanden. Ich war auf mich selbst angewiesen. Die Kommunisten, die Gruppe Brecht, Seghers usw. fuhr zurück in die Sowjetische Zone, nach Berlin. Sie wurde als die einzig antifaschistische Front anerkannt, wurde dort empfangen, siedelte sich dort an und bekam alle Vorteile, die ein Schriftsteller haben konnte, die großen Buchauflagen, während wir unabhängige Antifaschisten niemanden hinter uns hatten. Die Situation in der Bundesrepublik war so, daß in dem berechtigten Protest gegen die Adenauer-Politik sich die Intellektuellen an der Exilliteratur orientierten, die in der DDR erschien. Unsereiner, der gegen jede Form des Totalitarismus war, wurde verdächtigt und kritisch beobachtet. Ich kam damals nach Deutschland, habe zweimal bei der »Gruppe 47« gelesen, da waren Günter Grass und Heinrich Böll und Lenz und alle, und ich las aus meinem Buch »Die Wenigen und die Vielen«, worin einige antistalinistische Anspielungen enthalten waren. Das wurde mir sehr übel vermerkt. Ich war also politisch nicht ganz zuverlässig und fand in der Bundesrepublik keinen Anschluß. Die Verleger wollten mich nicht, mein Buch, mit dem ich aus dem Exil zurückkam, eine »éducation sentimentale«, ein Buch über einen Menschen, der als Kommunist in Deutschland aufwuchs und dann im Verlauf der Ereignisse sich zum Antimarxisten entwickelte – dieses Buch wurde von allen deutschen Verlagen abgelehnt. Wohl weil man damals, 1949, noch damit beschäftigt war, sich mit Hitler auseinanderzusetzen, mit Stalin noch nicht. Damals anti-Stalin zu sein und ein Emigrant zu sein, war höchst anrüchig.

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Was machte Varian Fry, was machten Hans Sahl und die anderen für einen Eindruck auf Sie? Waren das handfeste, entschlossene Männer?

Stéphane Hessel: Es waren vor allem kluge Männer, die sich sehr gut organisiert hatten. Und Hans Sahl hat sehr viel dafür getan, Leute herauszubekommen. Es war gar nicht einfach: Natürlich hatten sie eine sehr gute Beziehung zum amerikanischen Konsulat und haben immer wieder versucht, von dort die notwendigen Papiere zu bekommen, damit die Menschen weitergeschickt werden konnten auf ein Schiff oder auf den Weg über Spanien ins amerikanische Exil. Einer, dem das mißlungen ist, war ein guter Freund von mir und vor allem von meinem Vater, das war Walter Benjamin. Dem ist das nicht gelungen, und ich habe immer das Gefühl gehabt, hätte er mit Varian Fry zusammen versucht zu entkommen, so wäre er vielleicht heute noch am Leben. Aber er hatte seinen eigenen Weg, mit Lisa Fittko über die Pyrenäen zu gehen. Das wäre wahrscheinlich auch gelungen – ein paar Tage vorher, eine paar Tage später -, aber gerade in dem Moment, als er zu Tode ermüdet in Portbou ankam und man ihm sagte, nein, wir lassen Sie hier nicht durch, Sie müssen zurück nach Frankreich, hat ihn das so erschöpft, daß er seine Pillen genommen hat und sich tötete.

(Aus dem Interview mit Stéphane Hessel)