Heinz Hilpert
So wird alles Schwere entweder leicht oder Leben

Tagebuch für Nuschka
Herausgegeben von Michael Dillmann und Andrea Rolz, Nachwort von Michael Dillmann
148 Seiten, Abbildungen
fadengeheftete Broschur, gestaltet von Friedrich Forssman
€ 19
ISBN: 978-3-938803-31-8
Erschienen: März 2011
Gefördert vom Deutschen Theater Berlin

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Im Sommer 1944 wird der Regisseur und Intendant des Deutschen Theaters Heinz Hilpert von seiner jüdischen Geliebten und späteren Ehefrau Annelies »Nuschka« Heuser getrennt. Nach einem Besuch bei ihr in der Schweiz wird ihm, dessen kritische Haltung dem Regime bekannt ist, jede weitere Reise dorthin untersagt. Eine Liebe in den Zeiten von Nazi-Terror und Krieg – das haben viele in Deutschland, in Europa oder auf der Flucht durchlitten.

Wie aber Hilpert diese Verlorenheit inmitten der »Rotationen der Schicksale« durchsteht, ist etwas Besonderes: Er schreibt Nuschka bis Juni 1945 ein Buch seiner täglichen Einsamkeit und Sehnsucht nach ihr. Und da er ein überaus gläubiger Mensch ist, unerschütterlich und dadurch mutig in seiner großen Liebe, werden für ihn die vielen Tage der äußeren Trennung zu Einkehrtagen und sein »Tagebuch für Nuschka« zu einem Exerzitienbuch. Hilpert kennt dabei keine Scheu vor gewaltigen Worten, etwa wenn er sein »Nuschkalein benedeit« mit der Verzückung mittelalterlicher Mystik; immer wieder betet er in all dem ihn umgebenden Elend um ihr gemeinsames Lebensglück: »Nuschka, mein Leben, schenk Du mir den Frühling, und Du, Gott, behüte uns beide bis dahin vor der Pest der Welt.«

Den unwiderstehlichen Zauber dieser Liebeschronik macht wohl aus, daß Hilpert »außer jeder Angst« ist im Vertrauen, mit dem geliebten Wesen durch dessen Abwesenheit hindurch in tiefer und fester Verbindung zu bleiben. Selbst dann noch, als in den letzten Kriegstagen sein Sohn fällt.

Heinz Hilpert (1890-1967) arbeitete seit den 20er Jahren als Theater- und Filmregisseur sowie als Filmschauspieler. 1934 wurde er als Nachfolger Max Reinhardts Intendant des Deutschen Theaters in Berlin und blieb es bis zur Schließung des Hauses am 1. September 1944.
Und dann ist ein Mensch ganz leicht vor der Angst und ganz schwer vor dem Zitterjubel, der irdische Festigkeit verlangt. Und immer ist er im Gebiet der Stille, der Anmut, der Würde, der Gläubigkeit, der tiefsten, aber trostreichen Teilnahme am Werden und Vergehen. In allem und doch nicht verkettet. Außer allem und dennoch verbunden. Das ist Deine Liebe und Dein Dasein in Liebe, Nuschka!

Lore Kleinert über Liebe und Sehnsucht in Zeiten des Krieges und über einen ganz außergewöhnlichen Text:

Wer so zärtlich schreibt, wer so viel Hoffnung im weit entfernten anderen Menschen zu finden vermag, darf nicht wie Orpheus enden, der am Ende verliert. Heinz Hilperts Tagebuch ist dennoch mehr als das Zeugnis der großen Liebe eines klugen und geradlinigen Mannes, es ist auch ein Dokument des Geistes, der sich in der Zeit der totalen Verrohung behauptete und wuchs.

Radio Bremen, Nordwestradio, Literaturzeit, 11.April 2011

zum Beitrag

Blick ins Buch

Leseprobe

20. XI. 44

Nuschkalein, wenn ich Dich nicht hatte, so wäre es scheußlich mit mir bestellt. Ich müßte mich immer mit Mühsal wach erhalten und fühhlsam.

Seit ich Dich kenne, ist dieser Zwang, Dich lieben zu müssen, wie ein ewig inniges Inter-esse zur Welt der Erscheinungen.

Ich bin dazwischen – und deshalb wach und lebendig. Ich bin verliebt in die Buntheit allen Seins – und deshalb im Tiefsten bei allem Traurigsein über diese Läufte heiter. Es gibt Menschen, die mich gern mögen, und ich bin ihnen von Herzen dankbar, aber sie fordern mich nicht. Geliebt werden ist schön – es entwickelt und differenziert aber nicht. Lieben – mit aller Fragwürdigkeit des Widergeliebtwerdens – ist eben eine Kraftvergeudung, die ständig verjungt, ist eine Auslieferung, die einem sich selbst zurückbringt, ist ein Schmerzempfinden, das in Lust umschlägt.

[…]

Wegzugehen aus der »süßen Gewohnheit des Daseins«, weggehen zu müssen – eine Erkenntnis, die von Kindesbeinen an in jedem lebt. Ungern Abschied nehmen? Das auch – aber mehr die Furcht, nicht mehr dasein zu können. Mehr noch die vor dem schmerzhaften Prozeß des Sterbens. Frieden einzubüßen und Leiden erdulden zu müssen – das ist der Grund, der eigentlichste Grund der Daseinsangst. Also, sich an Leiden zu gewöhnen und auf Freuden verzichten zu können hilft die Angst überwinden. Aber in Zeiten wie den unsern – wie ist es da? Warum wird diese Lebensaufgabe schwerer? Nun, es ist mit Verzicht und Duldsamkeit so, das alle Menschen, die intensiv gelebt, Schicksale gemacht und durchgemacht, Freuden genossen und verschenkt haben, leichter jede schwere Lebenslast auf ihre Schultern nehmen, so wie der, der reich war, die Armut leichter tragt und jeden Verzicht weniger schwer empfindet als der, der vor den Toren unbegangenen Lebensgebietes, ungelebten Lebens steht.

Nun häufen sich in unseren Tagen die armen Leben, die unausgegorenen, in der Pubertät stehengebliebenen, daß die Lebensgier naturnotwendig jede Lebensdemut, jedem Entsagenkönnen, jeder Angstlosigkeit vor Leid und Abschied entgegensteht. Und dann ist ein Mensch, der mit einem geliebten Menschen, wie Du, Nuschka, es bist, durch alle Tiefen und Hohen gewandelt ist, ganz leicht vor der Angst und ganz schwer vor dem Zitterjubel, der irdische Festigkeit verlangt.

Und immer ist er im Gebiet der Stille, der Anmut, der Würde, der Gläubigkeit, der tiefsten, aber trostreichen Teilnahme am Werden und Vergehen. In allem und doch nicht verkettet. Außer allem und dennoch verbunden. Das ist Deine Liebe und Dein Dasein in Liebe, Nuschka! Und mehr denn je spurt man, das diese Art der Verbundenheit schon von vor dem Leben stammt, in einem Gebiet vor der Geburt wurzelt und durch die liebe Leihgabe »Leben« begleitet und nach ihm nicht aufhört.

22. XI. 44

Kennst Du das? Wenn man zu müde für die Sehnsucht ist? Es ist ein beginnendes Infernogefühl und so unaussprechlich erinnerungsarm, das man in sich und um sich kein Land mehr spürt – nur dumpfe Traurigkeit und ein Müdesein, das man nicht einmal die Lider heben mag, weder zum Mond noch zur Sonne. Dabei ist man aber nicht vegetativ, sondern nur so schlendrig und ohne Weg. O Nuschka, komm bald. Jetzt brauche ich Dich schon so sehr.

3. XII. 44

Nun, wirst Du denken, warum ist er so lange nicht bei mir gewesen, hat mich ganz allein gelassen! Nein, Du mußt wissen, daß ich keinen Tag anfange oder ende ohne Dich. Das keine Stunde vergeht, in der Du nicht bei mir bist. Nur war so viel Neues und Unklares in der Fabrik und in meiner Einstellung dazu klarzubringen, das ich abends immer ganz müde und auch schwer zermürbt ins Bett fiel. Und dann baute sich immer wieder aus Sehnsucht und Liebe eine Brücke, die gerade in Dein liebes Herz hineinmündete. Und ich ging darauf und dachte, warum ist Liebe, die sich bescheiden muß und sich nicht stillen kann, weil die Geliebte fern ist, so viel inniger und zarter und verbundener, verflochtener, unauflösbarer als die, die geniest? Weil sie schmerzhafter ist? Schenkt uns der Schmerz diese ganz besonderen Innigkeiten? Warum werden Menschen erst im Entbehren wesentlich? Und ganz nahe?

Heinz Hilpert, Foto: L. Gruber.

Annelies Heuser, 1925.

Heinz Hilpert im Zuschauerraum des Deutschen Theaters Berlin,um 1932, Foto: W. Seldow

Annelies Heuser, ca. 1923.

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