Johannes Muggenthaler
Die letzte Trauung

Roman

272 Seiten, mit einigen Photographien des Autors
Fadenheftung, Festeinband, gestaltet von Friedrich Forssman
€ 21
ISBN: 978-3-938803-30-1
Erschienen: Februar 2011
Ein Standesbeamter auf Abwegen
LeseZeichen – Das Literaturmagazin des Bayerischen Fernsehens
am 14.03.2011
um 23:25 Uhr

bestellen bei Kohlibri


Ein Roman, der im Standesamt beginnt und auf dem Standesamt endet. Marko ist, weil ihm nichts anderes übrigblieb, Türsteher in einem Standesamt und entsprechend melancholisch veranlagt. Bis eines Morgens alles schiefgeht und die Standesbeamtin bei währender Trauung die Flucht ergreift. Da gerät auch Marko auf Abwege und in schlechte Gesellschaft, zunächst auf einem großen Bierfest, wo er nicht nur die Lebkuchenherzenverkäuferin lieben lernt, sondern auch seinen alten Schulfreund Iwan Raupach wiedertrifft. Der fristet sein Leben als Kleinkrimineller, hat aber durchaus größere illegale Ambitionen. Gemeinsam mit dem Besitzer eines heruntergekommenen Gasthofs entführen sie die Freundin eines Auktionshausbesitzers, durchaus mit deren Einverständnis. Doch will der Auktionshausbesitzer sie nicht wiederhaben und folglich kein Lösegeld zahlen. Also bricht man in eine Sparkasse ein, was aber auch nicht wirklich zum Erfolg führt. Der wilde Schluß dieses wildromantischen Romans wird selbstredend nicht verraten.
________________________
Johannes Muggenthaler, 1955 geboren. Die letzte Trauung ist sein vierter Roman, daneben hat er Erzählungen und Theaterstücke veröffentlicht. Er lebt als Schriftsteller, Photograph und Kurator in der Nähe von München.

Blick ins Buch

Leseprobe

Endlich hinein ins Zelt, in das Quellgebiet des schäumenden gelben Flusses. Große Krüge, die geleert werden mußten. Biere gegen den Durst, aber auch gegen den Zweifel, daß diese Enge unter Fremden, daß diese Bedrängnis vielleicht freudlos bleiben könnte.
Tische und Bänke. Krug und Entleerung. Marko trank. Und die Zweifel nahmen ihr Ende. Marko blieb. So war es häufig, daß man blieb, obwohl man anfangs nicht hatte bleiben wollen. Und Marko wurde Musik, wurde das Dröhnen. Er wurde Geruch, Teil dieser Mischung aus Bier und Urin, die hier allgegenwärtig war, die alles verband. Frühkindliche Erinnerung an wohliges Bettnässen. Aber auch sündig erwachsen.
Man ließ sich dirigieren vom Dirigenten, vom Blaskapellenkommandanten. Der breitbeinig wie ein gedopter Boxer auf seinem Podium stand, dem Kapellenplatz. Ein Tusch. Allgemeines Zuprosten. Aufstehen, hinsetzen.
Eintreffen der Saalordner. Auch Sanitäter. Irgendwo war
Geschrei gewesen. Jetzt ein Krachen. Etwas wurde hinausgetragen.
Irgend jemand.
Gespräche mit Banknachbarn, Gespräche aus nächster Nähe. Gesprächsversuche. Diese Menschen dann plötzlich weg, ersetzt durch andere Personen.
Krug und Entleerung. Marko blickte auf. Der Blick ins Zelt, suchend. Wonach?
Er sah eine junge Frau. Sie war blond. Sie stand zwischen den Bankreihen und verkaufte Lebkuchenherzen. Große Lebkuchenherzen, die sie an bunten Bändern um den Hals trug. Auf Zuruf nahm sie eines der Herzen und reichte es in die Reihen. Entgegennahme des Geldes, Rückgabe des Wechselgeldes. So bewegte sie sich durch den lauten Saal. Sie verteilte ihre Herzen an Würdige und Unwürdige, ein wenig zu herablassend für Herzensangelegenheiten. Kalt und gleichgültig wie die Verkörperung von Fortuna.
Nun war sie nah, und Marko konnte sie genauer betrachten. Groß, herb und gerade, von trägem Temperament, gehörte sie eher dem nordischen Himmel an. Eine germanische Halbgottheit. Gelangweilt, trotzig. Kriemhild im Land der Hunnen.
Als sie aber Marko sah, der ja schön war, besonders wenn er saß oder stand, kam kurz ein Leuchten in ihre Augen, etwas, das vorher nicht dagewesen war. Geheim, aber auch verräterisch. Lange genug, um zu lesen, daß hier Einverständnis und Bejahung bereitstanden, falls es zu Aufforderungen kommen sollte.
Was könnte leichter sein, als eine Verkäuferin von Herzen anzusprechen? Aber Marko nickte nur knapp und blickte dann wieder in sein schales Bier. Und deshalb schritt Fortuna an ihm vorüber. Verkaufte weiterhin ihre Herzen an Würdige und Unwürdige. Folgte den Zurufen der Betrunkenen in die Tiefe der Halle. Und verschwand.
Marko war in trüben Gedanken gewesen. Nun war es zu spät. Und es war zu bereuen, daß die Herzenverkäuferin verschwunden war, daß sie jetzt zu den vielen Menschen gehörte, die man nur einmal im Leben gesehen hatte und dann nie wieder. Ebenso wie die beliebigen Menschen, die neben Marko auf der Bank gesessen hatten und bald auch diejenigen, die jetzt neben ihm saßen.