Edmund Wolf
Edmund Wolf – Ich spreche hier nicht von mir
Martin Wolf, Chefkommentator der »Financial Times«, über seinen Vater: »Er wollte das Gute in den Deutschen sehen.«
178 Seiten, zahlreiche Abbildungen
fadengeheftete Broschur
€ 25
ISBN: 978-3-938803-27-1
Erschienen: April 2010
Herausgeber: Ursula Seeber, Barbara Weidle
Gefördert durch das Bundesministerium für Unterricht
Mit Beiträgen von Eugen Banauch, Gernot Friedel, Susanne Gföller, Renate Harpprecht, Stefan Maurer, Brigitte Mayr, Isabel Mühlfenzl, Michael Omasta, Oliver Rathkolb, Ursula Seeber, Barbara Weidle, Daniel Wolf, Martin Wolf und Texten von Edmund Wolf sowie Dokumenten und Briefen.
Ausstellung im Literaturhaus Wien
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Der Österreicher Edmund Wolf (1910 – 1997) war ein ungewöhnlich vielseitig begabter Theatermann, Journalist und Drehbuchautor. Der promovierte Jurist und Schauspielschüler des Wiener Reinhardt-Seminars war bereits mit 25 Dramaturg des Volkstheaters in Wien. Von einem Arbeitsaufenthalt 1937 in London kehrte er nach dem März 1938 nicht mehr in das annektierte Österreich zurück. 1940 als »feindlicher Ausländer« nach Kanada deportiert, konnte er zwei Jahre später nach England zurückkehren und arbeitete dann für den Deutschen Dienst der BBC in London. So begann, den schwierigen Zeitläuften zum Trotz, eine lange und ertragreiche Karriere als Journalist, Rundfunk- und Filmemacher. Ab 1958 bis Ende der 1960er Jahre berichtete er aus London für DIE ZEIT und ab 1970 für die Süddeutsche Zeitung, als Drehbuchautor arbeitete er vor allem für den Bayerischen Rundfunk. Seine Reportagen und politischen Berichte decken ein großes Themenspektrum ab – er schrieb über das Britische Königshaus und junge englische Dramatiker, über Vietnam-Heimkehrer und Gastarbeiter, verfaßte Reiseberichte aus Jerusalem und Hebron und schilderte das Swinging London der 60er Jahre im Film. Für sein Drehbuch des Dokumentardramas L 615: Operation München – einen Fernsehfilm über die Entführung der Lufthansa-Maschine mit der Flugnummer 615 durch ein arabisches Kommando 1972 – erhielt er 1976 einen »Bambi«. Seine Dokumentationen wurden mehrfach mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.
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Das Buch begleitet die Ausstellung und Filmschau zum Werk Edmund Wolfs, die zu seinem 100. Geburtstag von April bis September 2010 im Literaturhaus Wien gezeigt wird. Es versammelt Dokumente und Texte zu Edmund Wolf und untersucht sein facettenreiches Werk in einzelnen Aufsätzen. Der umfangreiche Nachlaß Wolfs befindet sich in der Österreichischen Exilbibliothek im Literaturhaus Wien und wird mit dieser Ausstellung erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Damit wird an das Lebenswerk eines österreichischen Autors erinnert, der mit seiner künstlerischen und journalistischen Arbeit Maßstäbe setzte.
Leseprobe
Deutsche Zeitung, 22. März 1974. S. 23f.
Edmund Wolf
Die Präsidentin von Amerika
Genossin Vanessa Redgrave, Schauspielerin und Tochter aus guter Familie, predigt die Revolution
Die Lady als Tramp: »Ich bin ein furchtbar impulsiver Mensch; die meisten Impulse führen in die Irre.« Die schönste Irrläuferin des Klassenkampfes spielte schon als Kind Politik. Im Ernstfall versagt ihr Zauber.
»Vanessa ist ein bißchen verworren«, so sprach Mama, Lady Redgrave. Die Bemerkung bezog sich auf das Jahr 1967, als ihre in jedem Sinn große Tochter erstens ihren Mann Tony Richardson losgeworden war und zweitens das C. B. E. erhalten hatte (»Companion of the British Empire«, eine hohe Auszeichnung).
Beim Auseinandergehen ihrer Ehe verkündete Vanessa Redgrave »urbi et orbi«, wie immer mit fieberhaft-dramatisch hingehauchten Worten, daß sie sich im Grund von Tony nur scheiden lasse, weil sie ihn liebe: »Gewisse Menschen müssen frei sein, um wirklich intim sein zu können. Wenn Tony und ich zusammen sein wollen, werden wir zusammen sein; die Konvention der Ehe hat damit nichts zu tun, ich sehe keinen Zweck in der Einrichtung der Ehe …«
Nur eine einzige Ehe imponierte ihr, die der »Claudia Cardinale und ihres Mannes, die in verschiedenen Häusern leben: es ist mir klar, warum das funktioniert«. Man hätte meinen können, daß diese Bekenntnisse einer mehr oder weniger schönen Seele ihrer Mama verworren genug erschienen wären. (Was Vanessas Körper betrifft, muß sofort festgestellt werden, daß da von »mehr oder weniger schön« nicht die Rede sein kann; Michelangelo Antonioni dokumentierte die Schönheit ihres Körpers, nackt und bloß, in Blow Up – und auch dies wurde Vanessa sofort zum kämpferischen Anliegen: »Ich begreife nicht, daß es etwas anderes sein soll, nackt zu spielen … Es fehlt mir jedes Verständnis dafür, gegen Nacktheit zu sein; Nacktheit ist weder mutig noch banal, es ist überhaupt nichts … Man verbringt ja einen großen Teil des Lebens nackt, warum soll man es dann so außerordentlich finden, kurze Zeit in einem Film nackt zu verbringen?«)
Die mütterlich milde Bemerkung über Vanessas Verworrenheit bezog sich nicht etwa auf solche Sätze, sondern auf Vanessas Geständnis in einer BBC-Sendung, sie schäme sich, der Establishmentversuchung anheimgefallen zu sein und das C. B. E. angenommen zu haben. Mama,auf der Bühne als Rachel Kempson bekannt, eine Schauspielerin von einigem, wenn auch ungleich geringerem Rang als die verworrene Tochter, hat sich noch nie geschämt, die Frau eines Schauspielers zu sein, der zu der kleinen und hehren Gruppe der »acting knights« gehört, jener wenigen, denen die Königin wegen ihres schauspielerischen Ruhmes irgendwann das Schwert auf die Schulter gelegt hatte, um sie mit den gemurmelten Worten: »Arise, Sir Michael … (Erhebe Dich, Sir Michael, oder Sir Laurence, oder Sir Alec, oder Sir Charles)« aus bürgerlichen Bühnenvagabunden in Ritter zu verwandeln.