Jörg W. Gronius
Plötzlich ging alles ganz schnell
Roman
Ben Witter Preis 2007 an Jörg W. Gronius
148 Seiten
Fadenheftung, Festeinband, Schutzumschlag
€ 21
ISBN: 978-3-938803-02-8
Erschienen: August 2007
Die siebziger Jahre: Die Grenzen des Wachstums dämmern, in der Ölkrise hält das Autoland den Atem an, alte Wünsche kommen ins Stocken, Abhängigkeiten werden erst bewußt und dann angegriffen.
Doch ebensowenig wie in der Energiefrage weiß man sich aus den familiären und sozialen Verschlingungen zu helfen. Das »Nein, danke!« bleibt ein Zeichen für konkurrierende Gleichgesinnte.
Wohnung, Ernährung und Liebe stiften Identität – mit geradezu mythischer Macht.
Szondi und Euripides, Kleist und Castaneda vertreiben, so scheints, die Kindheitsängste, mit dem ersten Sperrmüll-Schreibtisch, der Brechtjoppe, bei lyrischen Gelagen und angespornt vom allgegenwärtigen Sexus stellt sich endlich die Hoffnung ein, es ganz anders machen zu können.
Aber plötzlich geht alles ganz schnell: Aus Reichen werden Linke, aus Linken werden Grüne, auf der Flucht vor den eigenen Eltern landet man an den Tischen fremder Familien, denen der Kumpel, der Freundin, bis aus Söhnen und Töchtern Väter und Mütter werden und die Jagd nach dem Glück wieder eröffnet ist.
Wie in Ein Stück Malheur und Der Junior setzt Jörg W. Gronius seinen Ich-Erzähler einer Wirklichkeit aus, die im Rückblick einiges vom Ernst einer Gegenwart verloren hat. In überwältigenden und lachhaften, in enormen und alltäglichen Abenteuern aus dem dritten Lebensjahrzehnt vollendet sich eine autobiographische Roman-Trilogie mit einem Presto zwischen Tod und Leben.
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Ben Witter Preis 2007 an Jörg W. Gronius
Hamburg (ots) – Der Vorstand der Ben Witter Stiftung, dem Aloys Behler, Joachim Kersten, Rolf Michaelis und Theo Sommer angehören, vergibt den diesjährigen mit Euro 15.000,- dotierten Ben Witter Preis an den 1952 in Berlin geborenen Schriftsteller Jörg W. Gronius. Die Ben Witter Stiftung zeichnet Jörg W. Gronius für seine Romantrilogie Ein Stück Malheur, Der Junior und Plötzlich ging alles ganz schnell aus. Diese Romane sind in den Jahren 2000, 2005 und 2007 im Weidle Verlag, Bonn, erschienen. Der Autor schildert darin seine Berliner Kindheit, Jugend und Studienzeit witzig, melancholisch und grotesk – es ist ihm damit ein szenenreiches Diorama der 1950er, 60er und 70er Jahre gelungen.
Die Verleihung des 13. Ben Witter Preises an Jörg W. Gronius findet am Mittwoch, 12. Dezember 2007, 20.00 Uhr, im Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38, 22087 Hamburg, statt. Die Laudatio auf den Autor hält Bettina Clausen, Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Hamburg.
Stifter des Ben Witter Preises ist der am 12.12.1993 verstorbene Hamburger Schriftsteller und ZEIT-Autor Ben Witter, dessen beste Werke von Rolf Michaelis in dem Band “Moment mal! 121 Versuche, den Augenblick zu retten” versammelt sind, erschienen 2007 im Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg.
Diese Pressemitteilung finden Sie auch unter presse.zeit.de.
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Im Sommer ist die Stadt ein geschlossener Topf. Nicht die Sonne erhitzt das Innere, sondern die vom Kopfsteinpflaster aufsteigende Glut. Über den Granitplatten der Bürgersteige kocht die Luft. Die Rentner dünsten ihren sauren Geruch nach Mottenkugeln aus, und die Haufen der Hundescheiße, die sie auf ihren Wegen mit den großen Einkaufstaschen hinterlassen, stinken zum Himmel. Autofahrer kurbeln an den Ampeln die Seitenscheiben herunter und nennen einander Arschlöcher. Ein Kadettfahrer bietet einem jungen Fußgänger mit griechischer Hirtentasche, der die Fahrbahn am Zebrastreifen überquert, eins in die Fresse an. Der Fußgänger dankt mit dem Ruf: »Faschist!« Die undurchdringliche Wolkendecke bringt den Inhalt des Topfes zum Kochen. Alles steht still. Außer dem Bellen der Hunde hört man kaum einen Laut.
Jörg W. Gronius, 1952 in Berlin geboren, lebt als freier Autor in Saarbrücken. Im Weidle Verlag erschienen seine beiden autobiographischen Romane Ein Stück Malheur (2000) und Der Junior (2005).
»Gronius schildert, wie sich der Horizont erweitert, ohne daß Staunen und Skepsis nachlassen, ohne daß er die Furien der Selbstbeobachtung verscheuchen könnte. Manche Passagen wirken dokumentarisch wie eine subjektive Geschichtsschreibung von unten, andere sind poetisch aufgeladen, und oft ist beides eins. Das Verschwinden im leeren Raum, das Wunder des Theaters ist es schließlich, das den Erzähler rettet. Wenn man so will: das Porträt eines Künstlers als Junior.«
Dietrich zur Nedden, NDR
Leseprobe
Ich ging zu John Glet. John Glet am Mehringdamm. Den Spezialisten für Berufskleidung hatte ich immer bewundert, gerne und lange vor den Schaufenstern gestanden. Berufskleidung. Kleidung rein zweckmäßig. Keine Mode, keine Farben, kein Schnickschnack. Design nach Vorschrift. Kellner weiß, Schornsteinfeger schwarz, Klempner blau. Bei John Glet am Mehringdamm kaufte ich eine Klempnerjacke. »Viel zu groß«, sagte der Verkäufer. »Genau«, sagte ich und ließ mir die Klempnerjacke einpacken. Zu Hause zog ich sie über. Angenehm locker hing sie über meine Schultern. In die Schlaufe der äußeren linken Brusttasche steckte ich den TK-Druckstift B4 aus der Zeit meines Zeichnens, kuckte in den Spiegel und dachte: »Brecht«.
Jetzt mußte ich nur noch mein Theater gründen. Ich rief Johannes an. Wir verabredeten uns zu einem Frühstück mit Thunfisch, Schrippen und Braunbier am Fuß der Rixdorfer Höhe. Ich dachte nicht mehr in Adressen. Ich dachte in geographischen Strukturen, in landschaftlichen Dimensionen, mythischen Horizonten. Die Rixdorfer Straße, dahinter die Dardanellen, das Schwarze Meer. Orpheus.
Die Rixdorfer Straße war die Einöde von Thrakien. Ich klingelte vor dem armseligen Balkon aus Eternit. Johannes öffnete und strahlte. Meine Klempnerjacke machte Eindruck. »Die Brechtjoppe«, sagte er bewundernd. »Na ja«, sagte ich. Johannes schüttete aus einer Plastikdose Wachsmotten in sein Terrarium. »Wir gründen ein Theater«, sagte er, noch bevor wir das Frühstück begonnen hatten. »Genau«, sagte ich. Johannes öffnete eine Flasche Braunbier, schenkte ein und sagte: »Wir brauchen einen Raum«. Wie in einem Chor riefen wir beide: »Einen leeren Raum.«