Otto A. Böhmer
Wenn die Eintracht spielt
Roman
208 Seiten, Anhang Kleine Frankfurter Liedertafel
Fadenheftung, Festeinband, Schutzumschlag
€ 21
ISBN: 978-3-938803-03-5
Erschienen: August 2007
Rafael Klugmann ist ein seltsamer Kauz, der seine Marotten – zuvörderst seine Leidenschaft für Eintracht Frankfurt – pflegt, wie es sich nur jemand leisten kann, der sonst keine Sorgen hat. Lange Zeit hat er in Frankfurt a. M. gelebt, bis es ihn, auf Grund eines kunstvoll verdrängten Vorfalls, ins ferne Wendland verschlägt.
Im Rundlingsdorf Schreian hat er sich, begünstigt durch das Erbe seiner Mutter, auf einem Künstlerhof eingekauft. Dort nervt er die anwesenden Stipendiaten durch unkünstlerische Sprüche und, nicht zuletzt, durch seine unkonventionelle Kleidung: Klugmann, in dessen Schrank die Trikots aller Lizenzspieler des aktuellen Eintracht-Frankfurt-Profikaders hängen, hat immer eine Eintracht-Kappe auf dem Kopf und ein Eintracht-Trikot am Leib. So zeigt er sich im Dorf, so zeigt er sich in der nahen Kreisstadt Lüchow, wo er bei der Psychotherapeutin Dr. Caroline Jaga in Behandlung ist. Er liebt sie, obwohl er sich von der Liebe schon vor Jahren verabschiedet hat. Als der Klassenerhalt der Eintracht geschafft ist, läßt sich Klugmann von seinem einzigen Freund, der aus dunklen Kanälen WM-Karten erhalten hat, dazu überreden, nach Frankfurt zu fahren.
Auch Caroline ist inzwischen in Frankfurt, und Klugmann ahnt, daß eine Absicht dahinterstecken könnte, die mit ihm zu tun hat. Kann er, der versierte Desillusionist, der lieber wehmütig als glücklich ist, noch einmal, und sei es zum letzten Mal in seinem schwindenden Leben, eine Liebe wiederfinden, die ihm seinerzeit, aus teils lachhaften, teils ungeklärten Ursachen, abhanden kam?
Wenn die Eintracht spielt erzählt von den Geheimnissen der Erinnerung und der Liebe zum Fußball, die oft nur für eine andere, die große Liebe, steht, an der wir uns auch dann noch wärmen, wenn sie sich nur noch aus versunkenen schönen Tagen nachzeichnen läßt.
Otto A. Böhmer lebt als Schriftsteller in Wöllstadt (Wetterau). Zahlreiche Veröffentlichungen. Erich-Fried-Preis 2001 Kulturpreis für Literatur 2002. Zuletzt erschien der Roman Der Zuwender (Weidle Verlag).
»Den eigentlichen Zweck jeder Introvertiertheit, nämlich ein teils ergiebiges, teils mit Selbstverliebtheitsaufgaben betrautes Ich aufzubauen, das so stabil ist wie das Gemüt eines Fußballprofis, der jeden Vereinswechsel ungerührt und mit Zugewinn übersteht, konnte ich mit meiner Vorgeschichte ohnehin nicht erreichen.
In meinem Kopf war immer Tag der offenen Tür gewesen, aber ich war davor nicht etwa geflohen, sondern hatte mich in den hintersten Winkel zurückgezogen, in eine separate Abstellkammer, auf der der gute alte Eintracht-Adler prangte. Nun wurde sie aufgestoßen, und ich drängte nach draußen. Ins Freie.«
Leseprobe:
Kurz nach eins fährt das gelbe Postauto auf den Hof. Willi steigt aus, ich gehe ihm entgegen. Wie eigentlich jeden Tag. Manchmal wird mir die lastende Ereignislosigkeit, die an sich ja ihr Gutes hat, zuviel, dann freue ich ich mich über jeden kleinen Bruch, den mein eingeschliffenes Dasein erfährt. Über Willi freue ich mich ohnehin. Er ist Postbote und Fußballfan und hält mich für einen halbwegs normalen Menschen. Wenn der wüßte. »Und?« sagt Willi und überreicht mir die neue Ausgabe des Kicker, den ich seit ewigen Zeiten abonniert habe. »Wer sind wir denn heute?« fragt er. Ich zeige mich ihm mit einer eleganten Körperdrehung. »Aha, Marko Rehmer, Nummer 33.–»Ein grundsolider Spieler«, sage ich. »Erst haben die Kritiker aufgejault, als er zur Eintracht kam, aber inzwischen wissen sie, daß auch das fortgeschrittene Fußball-Alter nicht vor Klasse schützt.« Ich darf an dieser Stelle erwähnen, daß ich mich, meinem Gesamtzustand entsprechend, zwar gern gehenlasse, dabei aber immer gut gekleidet bin. Ich habe keine Anzüge im Schrank, dafür jedoch die Trikots aller einunddreißig Lizenzspieler der Frankfurter Eintracht, von denen ich jeden Morgen ein anderes anziehe. Heute bin ich Marko Rehmer. »Was gibt's Neues?« fragt Willi. »Bei der Eintracht herrscht Ruhe«, sagt Rehmer. »Fast schon langweilig. Patrick Ochs ist leider noch immer zu dick und wird von Trainer Funkel deshalb nicht aufgestellt. Dabei könnten wir ihn gut gebrauchen. Und was gibt's Neues beim HSV?« Willi ist HSV-Fan, er hat eine Dauerkarte und fährt zu jedem Heimspiel in die AOL-Arena. Nichts kann ihn davon abhalten, keine Krankheit, keine nörgelnde Ehefrau, der er sich zwischenzeitlich denn auch durch Scheidung entledigt hat, kein samstäglicher Postdienst, den er so ungewohnt flott absolviert, daß er es bis jetzt noch immer nach Hamburg geschafft hat. »Der Trainer hat Fieber, aber er wird trotzdem auf der Bank sitzen. Kein Weichei, der Mann. Und die drei Punkte gegen Duisburg haben wir sowieso schon im Sack.«
»Wenn ich Trainer wäre und Fieber hätte, würde ich mich nicht auf die Bank setzen«, sage ich.
»Du bist aber kein Trainer!«
»Doch«, sage ich, »ich trainiere mich selbst. Und kämpfe seither gegen den Abstieg. Außerdem …«