Pat Steir
Flimmerndes Wasser, flimmerndes Licht

Aus dem Amerikanischen von Stefan Weidle
Essay von John Yau
Interview mit Pat Steir von Barbara Weidle
80 Seiten, 30 Farbabbildungen
29,5 × 24 cm, fadengeheftete Siebdruck-Broschur
€ 21
ISBN: 978-3-931135-41-6
Erschienen: 2000

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»Der Betrachter sieht einen fließenden Wasserfall er hängt in der Schwebe und stürzt gleichzeitig in eine endlose Nacht.
Dies ist eine Welt aus Wasser und Luft, Licht und Dunkelheit, ein sich permanent verändernder Ort, in dem Auflösung und Hingabe die einzigen Existenzformen sind. So erkennt der Betrachter, daß Steirs Wasserfall-Bilder einer intensiven Erotik huldigen …
Im Zentrum jener Werkgruppe des vergangenen Jahrzehnts steht die Beziehung zwischen Wasser und Licht, instabiler Materialität und konstantem Wechsel unterworfener Immaterialität …
Mit [ihren] Gemälden … bewegt Steir sich aus einer Welt, die allein aus fallendem Wasser besteht, zu einer nächtlichen Welt, die von Wellenspritzern, herabstürzenden Tropfen und Sternen erfüllt ist. In diesen wie in den folgenden Arbeiten bringt Steir Vordergrund und Hintergrund so zusammen, daß es beinahe unmöglich ist, Wassertropfen von leuchtenden Sternen zu unterscheiden.«
John Yau
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Leseprobe

In Steirs Wasserfällen dokumentiert die Oberfläche des Gemäldes die Wirkung der Schwerkraft. Die Farbe fließt in diagonalen und horizontalen Schlieren wie in vertikalen Flüßchen und luftigen bis dichten Schleiern zusammen und verkörpert so das Spektrum der Wirkungen der Schwerkraft. Steirs Gemälde sind letzten Endes keine Bilder von Wasserfällen, sondern spezifische Manifestationen von deren materieller Form. Das ist etwas ganz anderes, als eine idealisierte Form zu schaffen oder das, was wir oftmals ein abstraktes Gemälde nennen. So, wie sie in den Gemälden existiert, scheint uns die materielle Form des Wasserfalls einen Einblick in Steirs Auffassung der wechselnden Beziehung zwischen dem Individuum und der Geschichte zu eröffnen wir sehen einen Körper, der aus vielen unterschiedlichen Strängen besteht, einige davon sind isoliert, andere wiederum überlagern sich.

Wie sich die Beziehung zwischen Individuum (Ich) und der Wirklichkeit beständig verändert, sind auch die äußeren Begrenzungen des Wasserfalls nicht feststehend. Vielmehr durchdringen sich sein Körper und die Atmosphäre (oder der Ort), in der er existiert, gegenseitig …

In Steirs Augen verkörpern die schwarz-weißen Wasserfälle das männliche und die farbigen das weibliche Prinzip. Diese Auffassung betonte sie in der Lhamo-Serie, deren Titel aus der tibetischen Bon-Religion abgeleitet ist. Die Anhänger dieser Religion glauben an drei Lhamo-Göttinnen: die innere, die mittlere und die äußere.

In »Inner Lhamo Waterfall« (1992) schüttete Steir ein warmes Rot über einen kühlen blauen Untergrund. Ein großer Teil der unteren Hälfte des Bildes wird von leicht gekrümmten horizontalen Schlieren von tropfender, spritzender Farbe eingenommen. Die Dichte und Verteilung der Tropfen und Spritzer läßt an Lava denken, an intensive Hitzeströme, die sich pulsierend vor dem unbewegten Blau entfalten …

In »Outer Lhamo Waterfall« (1992) schüttete Steir zunächst ein dunkles, später ein helleres, feurigeres Rot über einen roten Untergrund. Der dichte Schleier von Farbverläufen erinnert an Lava, die aus einem Vulkan herabregnet. So kann Steir, nur durch einen Wechsel der Farbe, etwas ganz anderes als einen Wasserfall evozieren – einen Vulkan. Dieser Übergang zeigt, daß die Künstlerin ihre Thematik erweitert, in ein komplexeres Reich von Möglichkeiten vordringt. Neben anderem markieren diese roten, lavaartigen Farbverläufe einen Übertritt aus dem Reich der Nacht und kühler, erfrischener Wasserfälle in eine Welt des Tageslichts und kataklystischer Hitze.

Inner LhamoWaterfall

Outer Lhamo Waterfall

September North China Sea

September Evening Waterfall

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