Salamon Dembitzer
Die Geistigen
Roman
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Uta Beiküfner
Nominiert für »den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland«, die höchste offizielle deutsche Auszeichnung im Bereich Design.
188 Seiten
fadengeheftete Broschur Gestaltung: Friedrich Forssman
€ 19
ISBN: 978-3-938803-00-4
Erschienen: März 2007
Herausgeber: Uta Beiküfner
Stiftung Buchkunst prämiert: »eines der schönsten Bücher«
Einer dieser wunderbaren Berlin-Romane der 20er Jahre, von denen man gar nicht genug lesen kann! Er spielt im kulturellen Herzen der Stadt, teilweise im »Romanischen Café«, das hier »Harmonisches Café« heißt und in dem es ganz und gar nicht harmonisch zugeht. Geschildert wird der Abstieg einer jungen Frau aus wohlhabender Bremer Familie, die in einem Sanatorium den Schriftsteller und Arzt Abel Driglin kennenlernt und ihm nach Berlin folgt. Dort verstößt sie ihn bald und macht Karriere als Domina eines Feuilletonchefs, den sie jedoch versehentlich zu Tode peitscht. Als sie mit einer Geschlechtskrankheit darniederliegt, sucht sie Hilfe beim zuvor geschmähten und gedemütigten Driglin der aber nimmt unter dem Deckmantel der Fürsorge brutal Rache. Die Eltern wenden sich von ihr ab, und der Weg zum Straßenmädchen ist vorgezeichnet …
Das klingt so spannend, wie es ist, und Die Geistigen ist dazu noch ein satirischer Schlüsselroman: Aus Alfred Döblin wird Abel Driglin, aus Berlin Alexanderplatz »Leipzig – Hauptbahnhof«, und Alfred Kerr hat als Abel Krampf einen Gastauftritt.
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Mit sehr sparsamen Mitteln wurde ein beeindruckend schlüssiges Buch gemacht, das trotz historischer Bezüge absolut modern wirkt. Das Covermotiv wird als Close-up beim Einstieg fortgesetzt, zieht ins Buch und vermittelt das Gefühl, Teil der Szenerie zu sein. Innen kontrastiert die elegante Schrift perfekt mit den kraftvollen Spitzmarken und der Pagina. Im Verhältnis zu den recht dunklen Fotoseiten ist der Textteil licht und luftig und damit sehr lesbar. Die Fadenheftung ist bei der sonst bescheidenen Ausstattung umso erfreulicher. Außen und innen sind abgestimmt, das Papier ist schön getönt – ein leises, aber perfekt gestaltetes Buch.
Julie August, Börsenblatt des Deutschen Buchhandels, zur Auszeichnung der Geistigen als eines der schönsten deutschen Bücher 2007
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Salamon Dembitzer (1888 in Krakau geboren, 1964 in Lugano gestorben) schrieb in den 20er Jahren für die Welt am Montag, den Vorwärts, das Berliner Tageblatt und die Arbeiter-Zeitung, Wien. Im März 1933 emigrierte er nach Holland, wo Die Geistigen 1934 erschien – das Buch ist heute so gut wie unauffindbar, Dembitzer selbst besaß nach dem Krieg kein Exemplar mehr. 1940 flüchtete er aus Belgien über Frankreich nach Lissabon, um von dort in die USA einzureisen. Er lebte bis 1947 in New York, dann übersiedelte er nach Sydney, wo er einige Bücher publizierte, darunter einen grandiosen Roman über seine Flucht aus Europa, Visas for America. Ab 1958 lebte er in der Schweiz, ohne weiter zu publizieren.
Einer der wenigen Rezensenten der Geistigen war Albert Vigoleis Thelen: »Dembitzer schildert diese Korruption mit sehr viel stilistischer Gewandtheit, auch mit Humor, und mehr noch: mit der Schadenfreude, an der man merkt, daß er hier persönlich ein Hühnchen zu rupfen hat. Daß er die Zustände wahrheitsgetreu notiert hat, wie er zum Schluß zur Entschuldigung anmerkt, wird ihm sicher niemand übelnehmen. Aber eine Sache nimmt man ihm doch übel: das unhandliche Format des Buches, das man nicht lesen kann, wo es gelesen werden sollte, nämlich in der Straßenbahn.«
Diesem gravierenden Mangel wird nun endlich abgeholfen.
Leseprobe:
Es wurde eines der schönsten Feste in dieser Saison. In der bescheidenen Wohnung des Dichters Driglin saßen befrackte Herren und elegante Damen. Auch der Minister für Kunst und Wissenschaft ließ sich durch einen Geheimrat vertreten, und es war alles da, was bei der Presse, in der Filmwelt und beim Rundfunk Stimme und Gewicht hatte. Über hundert Personen drängelten sich in den Zimmern. Auch Paprika war da. Er saß beim Festessen neben der Bremerin, an deren anderer Seite Kerber plaziert war, und der wiederum hatte die linke Seite Driglins inne. Rechts von dem Jubilar saß Doktor Abel Krampf, der die Festrede halten sollte.
Ehe das geschah, bemerkte jemand laut und nebenbei, es sei doch ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß zwei große Schriftsteller den gleichen Vornamen hätten, die gleiche körperliche Größe und sogar den gleichen Doktortitel. Doktor Krampf lächelte verbindlich und ließ es sich nicht anmerken, wie geschmacklos er den Vergleich fand, ihn, den größten Kritiker Deutschlands, in einem Atem mit diesem Phrasendrescher zu nennen. Aber er sagte, es sei für ihn eine große Ehre … und dafür drückte ihm Driglin sofort gerührt die Hand …
Nachdem Kerber eine Anzahl Telegramme vorgelesen hatte, hielt Doktor Abel Krampf seine Rede. Sie war kurz und markig.
»Verehrte Festversammlung!
Soll ich mir wirklich die Mühe nehmen, die Bedeutung unseres Kollegen Driglin zu unterstreichen? Jeder, der auch nur eines seiner Werke kennt, weiß, daß das nicht nötig ist … und wer unter uns hat nicht eines oder mehrere oder alle seine Bücher gelesen und bewundert Driglin nicht? … Am eindeutigsten beleuchtet seine Bedeutung die Tatsache, daß, als man seinerzeit den fünfzigsten Geburtstag Strindbergs oder Wedekinds feiern wollte, sich kaum fünf Personen eingefunden hatten. Und wieviel Menschen sind heute hier versammelt? Wieviel? … Hundert?? … Sogar hundertzehn?? Na also ! Was habe ich dem hinzuzufügen? Ich möchte mir jedes weitere Wort sparen. Der Jubilar liebt keine Hymnen und ist ein Feind aller Verhimmlungen seiner Person. In meinem Buch »Dramatische Zwerge« habe ich in Kapitel 11, Seite 158 ausführlich gesagt, was ich zu sagen habe. Dem möchte ich nur hinzufügen: zu Ehren seines Volkes und der Dichterakademie, deren Mitglied er ist, möge er uns noch lange erhalten bleiben und unsre Seelen noch mit vielen neuen Werken erfreuen!«
Die Gesellschaft war hingerissen und sich darin einig, daß mit so wenigen und so einfachen Worten so viel zu sagen, nur Abel Krampf im Stande sei.